Dienstag, 23. September 2008

Populationsgenetik für Taubenväter (Teil 6)

"Man ist, was man ißt",
heißt ein alter Spruch, den wir, besonders bei Übergewicht, nicht unbedingt gerne hören. Aber nicht nur für Menschen, die uns damit ärgernd zu einer gesunden Ernährung animieren wollen, hat dieser Spruch eine wichtige Bedeutung, sondern seit grob einem Jahrzehnt auch für die Genetik.

Denn damals konnte gezeigt werden, dass die Information im Genom eines Lebewesens durch Umwelteinflüße, wie z.B. die Ernährung, derart beeinflußt werden kann, dass der Phänotyp, also das reale Aussehen und Verhalten des Lebewesens, durch diese Umwelteinflüsse stark varieren kann. Und dies auch dann, wenn der Bauplan (die genetische Information) identisch waren!
Das Bild zeigt den sichtbaren Beweis: Genetisch gleiche Mäuse, die aber durch unterschiedliche Ernährung eine unterschiedliche Fellfärbung entwickelt hatten und diese auch behielten.
(Foto: Epigenome network of excellence, Morgan et. al. 1999).

Für uns heißt dies: So einfach, dass wir alles, was die Leistungsfähigkeit und das Aussehen unserer Tauben betrifft, auf die Gene, die sie von ihren Eltern erhielten, zurückführen können, ist es leider nicht.



Die Umwelt, ein sehr wichtiger Faktor
Wir erinnern uns, die Gene liefern den Bauplan des Lebewesens, den Genotyp. Doch erstens: Wie es auf Baustellen nun einmal so abläuft, sind wir uns nie sicher, ob dieser Bauplan auch immer identisch gelesen und interpretiert wird. Und zweitens : Auch wenn das Lebewesen komplett identisch "gebaut" wurde, kommt es natürlich auch darauf an, wie die Umwelt dieses Lebewesen "formt". Und was dann herauskommt ist der Phänotyp, und der ist letztendlich entscheidend für die Resultate auf den Wettflügen.

Zum zweiten Punkt lassen sich sehr einsichtige Beispiele anführen. Wenn beispielsweise Nestjunge bereits Ernährungsmängel erleiden mußten, und dadurch Organschäden oder Knochendeformationenen erlitten, zeigen Sie im späteren Leben eine andere Qualität, als wenn dies nicht der Fall gewesen wäre.
Überstandene Krankheiten und sogar Impfungen haben Auswirkungen auf die Widerstandskraft und Vitalität einer Taube und damit auf den Phänotyp. Und zu guter Letzt natürlich ebenso das Schlagklima und die Schlagführung.

Der erste Punkt ist hingegen eine eher neue Erkenntnis in der Genetik. Man hat in den letzten Jahren festgestellt, dass nicht nur das Vorhandensein von Genen und ihre gegenseitigen Wechselbeziehungen, wie Rezessivität, Dominanz und Epistasie wichtig für den Phänotyp sind, sondern dass es ebenso wichtig ist, dass ein Gen auch zur Auswertung "freigeschaltet" ist. Bestimmte chemische Veränderungen an den Genen (z.B. Methylierungen) können diese nämlich an und ausschalten. Und diese Schalter werden teilweise (und das ist neu!) durch Umweltfaktoren gesetzt und werden dann später (und das ist ganz besonders spannend!) in manchen Fällen sogar weiterverbt.

So ist das obige Beispiel mit dem Mausefell keine Ausnahme. Beim Menschen sind bereits einige solcher Fälle dokumentiert, wie z.B. die Ausprägung von Asthma, bestimmter Krebsarten und Herzkreislauf Besonderheiten. Bei Tauben wird dieser Umwelteinfluß auf die "Lesbarkeit" der Gene mit Sicherheit nicht anders sein, nur geforscht wird hier leider wenig, wenn überhaupt. Man bezeichnet diesen Themenkomplex in der Genetik auch als EPIGENETIK. Sie ist derzeit das Forschungsgebiet in der Genetik schlechthin.



Was bedeuten diese Umwelteinflüsse aber für uns Taubenzüchter?

Nun, da wir ja die Gene einer Taube nicht direkt analysieren, und so entscheiden können, welche Taube "gute "Gene hat, und welche Taube "schlechte", testen wir die Tiere auf die gewünschten Merkmale, die unser Zuchtziel darstellen. Und das heißt, wir tätigen Rückschlüsse vom Phänotyp auf den Genotyp. Es geht leider nicht anders, doch es macht die Sache schwieriger, da wie eben gezeigt, die Umwelteinflüsse die Merkmalsausprägung ja auch mit beeinflussen. Unsere Testergebnisse werden also unschärfer und sind mit einer zusätzlichen Unsicherheit behaftet.

In der Abbildung sehen wir die nun schon öfter benutzte Darstellung der Häufigkeits-Verteilung der Qualität von Tieren in Bezug auf ein Merkmal, auf das wir züchten wollen (schwarze Kurve). Durch Umwelteinflüsse wird sich aber die Menge der "mittelguten" Tiere verändern, und ebenso die Menge der sehr guten oder weniger guten. Tiere, die eigentlich mittelgut wären, könnten z.B. durch Krankheit oder falsche Ernährung schlechter sein, als der Genotyp dies hätte erwarten lassen. Sprich die Kurve wird breiter, der Erwartungswert für die mittlere Leistung der Population sinkt, und die Zahl der Spitzentiere geht zurück, gleichzeitig steigt die Zahl der schlechten Tiere (rote Kurve).

Ebenso ist es denkbar, dass durch eine besonders gute Versorgung, besondere Trainingsmethoden (und leider auch durch unlautere Tricks, wie Medikamentenmissbrauch oder Doping), der Anteil der gut getesteten Tiere steigt, und ebenso die Zahl der Spitzentiere, ohne, dass dies auf bessere Gene zurückzuführen wäre (blaue Kurve). Sprich in einer späteren Zucht, böten diese Tiere keinen Vorteil, nein sogar einen Nachteil, da sie ja ein besseres Genom vorgaukeln, als sie tatsächlich haben.

Beide Fälle sind uns Taubenzüchtern natürlich aus der Praxis bekannt. Es gibt Züchter, die tollsten Erfolge feiern, doch die Nachzucht selbst ihrer allerbesten Tiere fliegen bei anderen Züchtern selten überdurchschnittlich, da diese nicht mit den gleichen optimierten Umweltbedingungen aufwarten können (Versorgung, Schlag, Training,...).
Und es gibt Züchter, die eine "robuste" Taubenhaltung pflegen, keine besonderen Trainingsmethoden anwenden, und bei der Versorgung nicht immer gleich den Tierarzt einschalten oder präventiv Medikamente geben, sondern auf Selektion der Kranken setzen. Deren Umweltbedingungen sind also härter, als im ersten Falle. Haben diese Züchter herausragende Tiere, wird es eine deutlich größere Gruppe von anderen Schlägen geben, die ebenfalls gute Erfolge mit der Nachzucht dieser Spitzentiere feiern können, da die Umwelteinflüsse auf den anderen Schlägen ja oft zumindest gleich stark optimiert sind.

Es ist somit kein Wunder, dass gerade die Nachzucht von Schlägen, die "robust" geführt werden/wurden über Jahrzehnte in aller Munde sind. Nennen könnte man hier sicher De Klak oder Janssen, aber auch manche andere.

Also können wir auch hier eine durch die Populationsgenetik gestützte wichtige Lehre für die Taubenzucht ziehen: Wenn wir Tauben aus anderen Schlägen einführen, sollten wir nicht nur auf die Leistungsnachweise dieser Tauben oder ihrer direkten Verwandschaft achten, sondern auch darauf, dass die Haltungsbedingungen, die Versorgung und die Trainingsmethoden des Züchters nicht extrem von den eigenen abweichen. Und zwar abweichen in die Richtung: "Leichtere Lebensbedingungen, Intensiveres Training, mehr Medikamente,..." Ansonsten werden die "härteren" Bedingungen auf dem eigenen Schlag bei der Nachzucht dieser Tauben nur schlechtere Ergebnisse erwarten lassen.

Natürlich ist es so, dass die durch optimierte Umweltbedingungen an bessere Leistungen herangeführten Tauben kein "Problem" für den Züchter darstellen, der dieses so macht. Im Gegenteil, seine Tiere sind denen der Wettbewerber überlegen, selbst wenn sie genetisch nicht überlegen sind. Und da er auf seinem eigenen Schlag ja immer derart agiert, hat er auch eine vergleichbare Informationsbasis zur Selektion der besten Tauben für die Zucht, solange er auf seinem eigenen Schlag bleibt.

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