Samstag, 20. September 2008

Populationsgenetik für Taubenväter (Teil 5)

Berühmt ist er durch seine These geworden, der Mensch und die Affen haben einen gemeinsamen Vorfahren. Und schon die Heftigkeit der Reaktion der Menschen seiner Zeit auf diese These legte, boshaft betrachtet, die Richtigkeit dieser These nahe. Doch sein eigentliches Verdienst war sein Beitrag zum grundlegenden Verständnis der Evolution und der Entwicklung der Arten auf unserem Planeten. Somit war Charles Darwin neben Mendel einer der Mitbegründer der Populationsgenetik, auch wenn Genetik gar nicht sein Thema war. Es war eigentlich vielmehr die Selektion.




Selektion, die zentrale Aufgabe des Züchters
Im vorherigen Teil haben wir gesehen, dass man unterscheiden muss, zwischen qualitativen Merkmalen, die durch einzelne bzw. sehr wenige Gene bestimmt werden und quantitativen Merkmalen, die von einer Vielzahl von Genen bestimmt werden. Die wesentlichen, für den Brieftaubensport relevanten Merkmale sind quantitativer Natur. Als Züchter kann man hier trotz der unzähligen Möglichkeiten bei der Weitergabe dieser Gene auf die Nachzucht dennoch gezielt und mit Planung an die Aufgabe der Zucht heran gehen, da auch im Zufall Gesetzmäßigkeiten stecken. Das Ziel ist es, möglichst viele Gene, die positiv zum gewünschten Merkmal beitragen anzuhäufen.

Werden nun zwei Tiere verpaart, die z.B. jeweils 10 "gute" Gene im Bezug auf unsere Wunscheigenschaft in sich tragen, so ist es am wahrscheinlichsten, dass auch deren Kinder 10 "gute" Gene in sich tragen. Doch es könnten auch ein paar Kinder mit nur 9 oder 8 "guten" Genen dabei sein oder ganz selten auch welche mit nur 3 oder auch 17 "guten" Genen. Anhand der Milchleistung von Kühen hatten wir im letzten Teil betrachtet, wie so eine Verteilung der "guten" Gene, die die gute Milchleistung zur Folge hat, in der Realität einer Rinderzucht aussieht. Es bildete sich eine Verteilung der Häufigkeit von aufgetretenen Milchleistungen, die so zunächst einmal auch auf unsere Fragen bei Brieftauben übertragbar ist.

Wenn wir nur die Tiere zur weiteren Zucht verwenden, die überdurchschnittliche Leistungen in Bezug auf unser Merkmal gezeigt haben (grau schraffierter Bereich), passiert in der nächsten Generation das, was hier im Bild im unteren Teil zu sehen ist: Die Tiere dieser Generation werden im Duchschnitt eine höhere Anzahl an "guten" Genen in sich tragen, sprich im Schnitt werden die Leistungen besser geworden sein (das Maximum ist nach rechts gerückt). Zu unserem Beispiel: Wenn wir nur noch die Tiere mit über 11 "guten" Genen zur Zucht einsetzen, kommen später Junge dabei heraus, die im Mittel z.B. 12 "gute" Gene in sich tragen. Und die Wahrscheinlichkeit eines Jungen mit nur 3 "guten" Genen ist gesunken, wogegen die Wahrscheinlichekeit auf ein Junges mit 17 "guten" Genen gestiegen ist.

Auf einen "Fehler" im Buch "Die Kunst des Züchtens" von Alfons Anker möchte ich an dieser Stelle aufmerksam machen. Dort wird beschrieben, dass sich bei der Vererbung von additiven Eigenschaften das Ergebnis intermediär ergibt (soweit so gut). Und dass dies bedeuten würde, dass sich die Qualität der Nachfahren immer zwischen den Qualitäten der Ausgangstiere befände (10 mit 12 verpaart ergäbe z.B 11 bei den Jungen). Dies ist FALSCH!
Richtig ist vielmehr: Der Erwartungswert der Qualität liegt dazwischen, sprich am Wahrscheinlichsten, sind Nachfahren, die dazwischen (hier also bei 11) liegen. Doch es können natürlich auch Nachkommen entstehen, die über und auch unter den Qualitäten der Eltern liegen, wenn auch deutlich seltener!




Testen, Dokumentieren, Züchten, Testen,...
Es wäre schön, wenn wir einen Gentest hätten, mit dem wir die "guten" Gene auszählen könnten, und so etwas wäre rein theoretisch auch möglich. Aber da leider keine -zig Milliarden Euro in die Erforschung des Brieftauben-Genoms gesteckt werden, bleibt ein solcher Test wohl auf ewig ein Traum. Wir müssen also unser Merkmal bei jeder Taube messen und dokumentieren. Und dies so objektiv wie möglich, um eine hohe Wiederholbarkeit der Ergebnisse zu erreichen. Und dann konzentrieren wir uns in der Zucht auf die Tiere, die die besten Messergebnisse erreicht haben.
Natürlich ist die objektive "Messbarkeit" von Merkmalen wie z.B. "Nestliebe" nicht gerade einfach. Doch könnte man beispielsweise ein eigenes Benotungssystem definieren ("verteidigt nicht und flüchtet" = 0 Punkte, "verteidigt nicht, aber flüchtet nicht"= 1 Punkt, "verteidigt bleibt aber sehr ruhig dabei"= 2 Punkte, "verteidigt heftigt"= 3 Punkte, "verteidigt sehr heftig, Beisser!"= 4 Punkte). Würden diese Ergebnisse Jahr für Jahr protokolliert, und würde man konsequent hiernach für die Zucht selektieren, so könnte man tatsächlich nach ein paar Generationen einen deutlichen Anstieg des Verteidigungsverhaltens auf dem Nest erkennen.

Eine wichtige Konsequenz für uns Züchter lautet also:
Zunächst müssen wir die Merkmale, auf die wir züchten wollen definieren, dann müssen wir sie geeignet und möglichst objektiv messen und protokollieren, und abschließend dürfen wir nur die Besseren auf dieser Skala zur Zucht einsetzen. Und dies Jahr für Jahr, und am besten mit einem Rückblick auf die früheren Ergebnisse, um eine Erfolgskontrolle durchzuführen.

Ein simples und wenig fundiertes "die Taube gefällt mir" vor der Anpaarung ist reines Lotto spielen in der Zucht. Zucht muß aber eben nicht nur purer Zufall sein, sondern kann zielgerichtet betrieben werden. Ein anderes Wort für Selektion ist schließlich "Zuchtwahl": Züchten und (Aus)wählen.



Selektion ist zwingend notwendig zur Qualitätserhaltung

Doch nicht nur zur Verbesserung ist eine gerichtete Selektion notwendig. Auch wenn wir als Züchter das Glück haben, bereits einige Tauben sehr hoher Qualität auf dem Schlag zu haben, ist konsequente Selektion die wichtigste Aufgabe. Denn ev. waren diese Tauben nur ein glücklicher Zufall und nicht die Konsequenz eines im Durchschnitt sehr guten Bestandes mit bereits hoch angereichten "guten" Genen. Sprich der Erwartungswert für die Qualität unsere Population liegt weit von diesen Ausnahmetauben entfernt. Wenn wir diese Tauben dann mit dem "durchschnittlichen" Rest unseres Bestandes paaren, fallen wir sehr schnell wieder ins Mittelmaß zurück.

Die Forscher Hardy und Weinberg haben festgestellt, dass man die Verteilung von einzelnen Allelen eines Gens in einer Population direkt berechnen kann (zu weiteren Details am besten googlen, Stichworte: "Hardy", "Weinberg", "Gleichung", denn es würde hier zu weit führen). Anhand ihrer Gleichung, angewendet auf mehrere Gene, läßt sich zeigen, dass ohne gezielte Selektion eine einzelne Taube mit sagen wir mal 20 Top-Genen in z.B. einer Population mit 40 Tauben die nur 10 Top-Gene besitzen, bereits nach 3 Generation kaum noch einen meßbaren positiven Effekt hätte. Ein vermeindlicher Top-Züchter wird in wenigen Jahren zum Durchschnittsspieler. Beispiele hierfür finden sich in der Geschichte des Taubensportes zur Genüge.

Umgekehrt kann durch wirklich konsequente fortdauernde Selektion ein Effekt zum Positiveren erreicht werden. Je schäfter die Selektion ist, desto schneller setzt sich ein Merkmal in einer Population durch. Allerdings ergibt sich hier die Problematik, dass wir meist viel zu wenig der richtig guten Tiere haben, um die Selektion allzu streng wählen zu können. Denn dann wird unser Zucht-Bestand schnell sehr klein und wir haben innerhalb weniger Jahre nur noch die Möglichkeit mehr oder minder miteinander verwandte Tiere unter einander zu verpaaren. Doch das Thema Inzucht bedarf einer ausführlicheren Betrachtung, daher dazu später einmal mehr.

Dennoch: Die simple Weisheit "ausreichend viel Züchten, konsequent prüfen, nur mit den Besten weiter züchten", die schon Staf Dusarduyn, De Klak und andere frühere Meister vertraten, führt gesichert zum Ziel. Dies bestätigt die Populationsgenetik!

Wenn wir aber nur einzelne gute Tiere haben und dennoch relativ schnell Erfolge haben wollen, bleibt uns nur der Weg, unsere eigenen allerbesten Tiere mit den bestmöglichen von aussen hinzu geholten Tieren zu verpaaren, die ebenfalls all unseren Kriterien in höchstem Maße entsprechen. Sprich wir müssen einen Teil unsere Bestandes gegen bessere Tauben ersetzen. Der Spruch "Es sitzen überall gute Tauben" mag zwar richtig sein. Doch nicht das ist wichtig, sondern wieviele Gute dort zwischen den Schlechten sitzen. Sprich die Wahrscheinlichkeit eine Gute im Bestand zu haben muß möglichst hoch sein!

Und es sei an dieser Stelle noch einmal gesagt: Ungeprüfte Enkel oder gar Urenkel von Top-Tauben sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die richtigen Ergänzungen der eigenen Top-Tiere, da sie ja nur noch im Schnitt 1/4tel bzw. 1/8tel der gewünschten Erbanlagen der Top-Taube besitzen. Wenn man diese Enkel hingegen selber einer Prüfung unterzieht, und sie dort überdurchschnittlich abschneiden, steht natürlich dem Einbau in die eigene Zucht nichts im Wege.

Ja sogar Kinder und Vollgeschwister zu Top-Tauben mögen für die Zucht wertlos sein, wenn sie unsere Prüfkriterien nicht erfüllen. Die oft im Taubensport verbreitete Aussage, dass ein schlechteres Geschwistertier des Top-Tieres oft der "bessere Vererber" sei, ist aus Sicht der Populationsgenetik Blödsinn. Es mag durch besondere Effekte, wie beispielsweise Umwelteffekte, Überdominanz oder zu hohem Homozygotiegrad beim Geschwister (zu diesen Punkten werde ich in einem späteren Teil etwas schreiben) auch einmal so sein, dass dessen Leistungen nicht so gut sind, aber der Zuchtwert hingegen sehr hoch. Doch dies sind Ausnahmen, auf die man keine Zuchtstrategie gründen sollte.

Besonders interessant für die Einführung von Tauben in die Zucht sind also absolute Top-Tiere, oder Tiere, die sehr eng mit den Top-Tieren verwand sind, und in deren Verwandschaft sehr oft Top-Niveau auftritt.
Denn dies gibt uns einen Eindruck davon, wie die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Nachkommenqualität später bei uns in der Zucht aussehen könnte. Ein Top-Tier, dass die absolute Ausnahme in seiner Familie war, ist dagegen weniger interessant, da es ein höheres Risiko birgt, auch eine Menge "schlechter" Gene zu verbreiten, die bei diesem Top-Tier jedoch zufällig keine Auswirkungen auf den Phänotyp hatten.

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