Donnerstag, 11. September 2008

Populationsgenetik für Taubenväter (Teil 3)

Ich gebe es ja zu, ich habe Vorurteile über uns Taubenzüchter! Ich unterstelle den Taubenzüchtern, sich für Vererbung nicht sonderlich zu interessieren, obwohl diese Kenntnisse für eine zielgerichtete Tierzucht sehr wertvoll sind. Mehr sogar: Ich unterstelle den allermeisten Taubenzüchtern, die im Zusammenhang von Eigenschaften wie "Spitzenpreise fliegen" oder "Durchhaltevermögen" gerne Floskeln benutzen, wie "nach Mendel sollte es sich so oder so verhalten" oder "Ausmendeln" (ja dieses Wort habe ich tatsächlich erst kürzlich in einem "Fachartikel" über Brieftauben gelesen), dass sie von Vererbung noch weniger verstehen, als diejenigen, die sich mit so etwas angenehm zurückhalten. Warum ich so böse denke? Nun...

Was die Gene so untereinander treiben
Der Bauplan einer Taube erstreckt sich über 40 "Kapitel", die Chromosomen , wobei jedes Kapitel doppelt vorliegt, also je ein vom Vater kommendes und ein von der Mutter kommendes Chromosom. Auf diesen Chromosomen befinden sich für den Bauplan der Taube informationstragende Abschnitte. Diese Abschnitte nennen wir Gene. Nun ist es so, dass an dem Ort eines Chromosomes, an dem z.B. das Gen für rote Gefiederfarbe einer Taube sitzt, dieses Gen praktisch immer sitzt. Egal ob es ein Chromosom ist, welches vom Vater oder von der Mutter stammt. Egal ob es ein Chromosom im "Ringlosen" oder ein Chromosom im "Oude Merckx" ist, das Gen für die rote Gefiederfarbe sitzt immer an der gleichen Stelle.
Und so kommt es, dass diese zwei Gene sich gegenseitig in ihrer Wirkung beinflussen. Das eine auf dem Chromosom, welches von der Mutter stammt. Und das andere Gen auf dem Chromosom, welches vom Vater stammt. Es ist oft sogar so, dass sich unterschiedliche Gene auf unterschiedlichen Plätzen auf den Chromosomen gegenseitig in ihrer Wirkung auf den Bauplan der Taube beeinflussen.

Der Augustinermönch Gregor Mendel hatte vor grob 150 Jahren als Erster bestimmte Gesetzmäßigkeiten dieser gegenseitigen Beeinflussung von Genen bei der Farbe von Erbsenblüten beobachtet und diese unter seinen berühmten drei Mendel'schen Reglen zusammengefasst:
1. Die Uniformitätsregel
2. Die Spaltungsregel
3. Die Unabhängigkeitsregel

Abgesehen davon, dass die 3. Regel, so wie sie formuliert ist, heute teilweise wiederlegt ist (denn alle Gene, die auf ein und demselben Chromosomenstrang sitzen, vererben sich nur sehr selten unabhängig voneinander), möchte ich hier aber gar nicht im Detail auf diese drei Regeln eingehen. Sie haben ohne Zweifel extrem zum Verständnis der Vererbung von Genen und ihren Wirkungen beigetragen, ja die Genetik quasi begründet. Doch wichtiger für uns sind die mittlerweile aus
Mendels Beobachtungsregeln gewonnenen Erkenntnisse:

Es gibt Gene, die sich in ihrer Wirkung über andere Gene durchsetzen! So ist eine Taube immer rot gefärbt, wenn sie das Gen für die rote Farbe trägt, sogar dann, wenn das Gen nur einmal im Erbgut vorliegt. Wenn es z.B. nur auf dem Chromosomenstrang, der vom Vater stammt, jedoch nicht auf dem von der Mutter existiert. Solche Gene wirken DOMINANT, wie man es in der Fachsprache nennt.

Es gibt Gene, die es in verschiedenen Varianten gibt. Zum Beispiel ist das Gen für die rote Gefiederfarbe irgendwann einmal durch eine Veränderung seines Inhaltes (dies nennt man auch MUTATION) in seiner Wirkung so verändert worden, dass es sich nicht mehr alleine gegen andere Gene "durchsetzen" kann. Die verschiedenen Varianten ein und desselben Genes nennt man ALLEL.
Da das Allel des Gens der roten Gefiederfarbe aus unserem Beispiel sich alleine nicht mehr gegen andere Gene im Erbgut der Taube durchsetzen kann, zeigt die Taube nach aussen keine rote Gefiederfarbe, sondern die normale grauschwarze Färbung, wenn sie nur ein Gen dieser Art trägt. Wenn sich aber zwei Gene dieses Allels, also eines auf dem väterlichen und eines auf dem mütterlichen Strang befinden, zeigt die Taube wiederum eine rote Gefiederfarbe.
In diesem Falle, in dem sich ein Gen nur nach außen zeigt, wenn es sowohl väterlicherseits, als auch mütterlicherseits vorhanden ist, wirkt das Gen REZESSIV.


Homo oder Hetero?
Zwei Fachbegriffe, die es in diesem Zusammenhang zu verstehen gilt sind HOMOZYGOTIE und HETEROZYGOTIE. Homo kommt vom griechischen homós - gleich, und an die Zygote (die frisch zu einem neuen Lebewesen verschmolzenen Keimzellen) erinnern wir uns auch, meint aber aus dem grischischen kommend "Gespann". Von "homozygot" spricht man, wenn ein und dasselbe Gen (also nur ein Allel des Gens) sowohl auf dem väterlichen Chromosomen-Strang, wie auch auf dem mütterlichen Chromosomen-Strang vorhanden ist. Es ist also gleichbedeutend mit dem Wort "reinerbig".
Nun ist es bis zur Heterozygotie nicht mehr weit. Hetero meint verschieden bzw. anders (ja wiederum die alten Griechen) und so bedeutet "heterozygot" also, dass ein Gen (bzw. ein Allel eines Gens) auf nur einem Chromosomen-Strang vorkommt, während auf dem anderen Strang eine hiervon verschiedene Erbsequenz sitzt. Im deutschen sagt man auch "mischerbig" dazu.

Somit ist ein dominates Gen in seiner Wirkung immer sichtbar, egal ob es heterozygot oder homozygot vorliegt. Wohingegen ein rezessives Gen nur zu Tage tritt, wenn es homozygot vorliegt.


Und noch zwei weitere oft benutzte Fachwörter möchte ich an dieser Stelle erläutern: Es sind die Worte GENOTYP und PHÄNOTYP. Mit Genotyp meint man den "Typen" eines Lebewesens, der im Bauplan beschrieben ist. Mit Phänotyp meint man den Typen eines Lebewesens, der nach außen hin sichtbar ist. Diese Typen sind oft nicht identisch, wie das Beispiel mit dem rezessiven Gen deutlich macht. Hätten wir zwei Lebewesen mit exakt identischem Genotyp, bis auf ein einzeln vorhandenes rezessives Gen (wie hier die Gefiederfarbe), wären diese Lebewesen ja mit unterschiedlichem Genotyp ausgestattet, nach außen aber dennoch in ihrem Phänotyp, ihrem Erscheinungsbild also, nicht zu unterscheiden.

Und ja, an alle überraschten Taubenzüchter, es gibt tatsächlich ein rezessives Rot, welches als Allel der dominant roten Gefiederfarbe auftritt. Es wird jedoch "braun" genannt. Es ist nicht mit dem sogenannten "Meulemans Rot" Gen zu verwechseln, welches ebenfalls rezessiv wirkt. Da die meisten Züchter von diesem "rezessiv Rot" oder bessergesagt "braun" nichts wissen, und es auch wirklich nur sehr selten auftritt, wurden sicher schon einzelne Züchter der Lüge bezichtigt, wenn sie vermeindlich rote Jungtauben (die sollte man nämlich besser "braun" nennen, nicht "rot") aus nicht roten Tauben gezogen hatten. Bei diesen Jungtauben wird sich die braune Farbe aber auch in den weiteren Generationen rezessiv verhalten; wenn nicht, war es dann doch ganz sicher eine Fremdbefruchtung, und sonst nichts!

Doch über dominante und rezessive Gene hinaus gibt es auch noch andere Fälle, wovon Mendel manche (weitgehend) unberücksichtigt ließ:
- INTERMEDIÄR wirkende Gene. Hierbei dominiert ein Gen nicht über ein anderes, sondern ihre Effekte auf den Phänotyp mischen sich, so dass im Endeffekt ein Mischeffekt am Lebewesen sichtbar wird.
- EPISTASIE eines Gens auf ein anderes Gen. In diesem Falle dominiert dieses Gen in seiner Wirkung zwar nicht über ein anderes Gen, aber es schaltet die Wirkung eines anderen Genes quasi aus oder beeinflußt diese stark.
-PLEIOPTROPIE eines Gens. Hierbei bewirkt ein Gen nicht nur eine einzelne Änderung des Phänotypen, sondern ist auch an anderen Merkmalen beteiligt. Würde das Gen für die Gefiederfarbe gleichzeitig unter bestimmten Umständen auch die Länge der Beine verändern (was aber wohl nicht der Fall ist!), würde man von Pleiotropie reden.
-POLYGENIE mehrerer Gene. Wenn mehrere Gene erst im Zusammenwirken ein Merkmal bewirken (hierzu wäre die Haarfarbe des Menschen als Beispiel zu nennen, für die zwei Gene verantwortlich sind) spricht man von Polygenie.


Ich denke es ist deutlich geworden, dass Vererbung dann doch etwas komplexer ist, als das, was der gute alte Mendel herausgefunden hat. Und daher werde ich mich wohl auch nicht so schnell von meinem oben genannten Vorurteil trennen. Doch wir müssen angesichts dieser Vielzahl von Begriffen, Effekten und Wechselwirkungen nicht verzweifeln. Denn oft, wenn die Dinge im Detail betrachtet zu unübersichtlich werden, hilft eine Betrachtung des Ganzen mit etwas mehr Abstand. Denn auch in der Summe vieler Einzel-Effekte lassen sich häufig Gesetzmäßigkeiten erkennen, die uns weiterhelfen. Ich weiß bei einem Regenschauer nicht exakt welcher Tropfen mich gleich treffen wird, wenn ich in den Himmel schaue, doch ich weiß dennoch, dass ich definitiv nass werde.

Doch dazu mehr im nächsten Teil.

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