Dienstag, 8. Dezember 2009

Der Riese unter den "Kleinen" (Teil 2)

Nachdem ich im ersten Teil versucht habe, den Einfluß, den Theo Gilbert mit seinen Tauben über mehr als vier Jahrzehnte auf den Taubensport hatte, darzustellen, möchte ich nun die eigentlich interessante Frage beleuchten:
Wie hat Theo Gilbert all dies schaffen können? Wie ist er als Züchter vorgegangen?

Fast 25 Jahre nach dem Tod von Theo Gilbert ist dies freilich ein fast aussichtsloses Unterfangen, zumal Theo Gilbert ein sehr öffentlichkeitsscheuer Züchter gewesen sein muß. Im Prospekt zu seinem Totalverkauf im Jahre 1985 sagt der Schwiegersohn Theo Gilberts, Georges Himpe, dass es gerade einmal drei überlieferte Interviews über Theo Gilbert gäbe, das erste von 1961, das letzte von 1983.

Man muß dies erst einmal wirken lassen: Ein Züchter von dieser herausragenden Klasse, und es gibt gerade einmal drei Interviews in über 40 Jahren erfolgreichen Taubensports! Damals schon extrem aussergewöhnlich, doch heute wohl nahezu undenkbar! Die drei Interviews sind mir leider nicht zugänglich gewesen, doch laut Prospekt der Totalversteigerung stimmten sie alle darin überein, dass die kleine Kolonie von Theo Gilbert von unvergleichlicher Klasse wäre, und dass es unzählige nationale Cracks und Super-Tauben gäbe, die auf Theo Gilbert zurückgingen. Das bestätigt uns zwar in unserem Urteil über die züchterische Leistung Gilberts, aber hilft uns bei der Analyse seiner Zuchtstrategie leider recht wenig.

Dank Georget Pappens liegt mir jedoch der komplette Prospekt der Totalversteigerung vor, die am 25.11.1985 anlässlich des Todes von Theo Gilbert in Beervelde stattfand. Besonders wertvoll sind seine Informationen deshalb, da in diesem Prospekt alle 45 Tiere
von Theo Gilbert zum Verkauf standen (inklusive aller Jungtauben war sein Bestand tatsächlich nicht größer!) und inklusive einer Beschreibung der Tauben und ihrer Abstammung aufgelistet waren. So erhalten wir eine Momentaufnahme des Gesamtbestandes von Theo Gilbert aus dem Jahre 1985, die ein paar fundierte Einblicke in das Vorgehen Gilberts in der Zucht zuläßt. Auch wenn nicht anzunehmen ist, dass ein Züchter, der über einen solch langen Zeitraum mit ähnlicher Bestandsgröße bis zu seinem Tod große Erfolge gefeiert hat, seine Methodik häufig oder gar sprunghaft geändert hat, kann Manches von dem, was nun folgt nur eine plausibele Vermutung sein.

Die Struktur des Bestandes
26 Tauben des Gesamtbestandes von 45 Tieren waren Jungtiere von 1985, somit also knapp 60% des Bestandes. Dies legt übrigens einen Winterbestand von nur knapp 20 Tieren nahe!! Desweiteren besaß er 10 jährige Tauben des Jahrgangs '84. Insgesamt waren also nur 9 Tiere bzw. 20% des Bestandes von Theo Gilbert zweijährig und älter. Diese 9 Tiere besaßen ein Durchschnittsalter von etwa knapp über vier Jahren, wobei ein 9-jähriger Vogel das älteste Tier darstellte. Zusammen mit den 10 jährigen Tauben hatten seine Alttiere also ein Durchschnittsalter von knapp drei Jahren.

Zu den Abbildungen:
Das Bild in Teil 1 zeigt Theo Gilbert im Alter von 89 Jahren.

Das Bild in Teil 2 oben zeigt das Elternpaar des "Rapido", des "Kupido" und des "Panter", im Folgenden "Paar 2" genannt

Das Bild zur Linken zeigt die Abstammung des "Panter" (durch einen Click erscheint es in voller Größe)

Das Bild unten zeigt einen Nachkommen von "Paar 2" auf meinem Schlag volle sieben Generationen später!


Die Zuchtpaare
Es scheint, dass Theo Gilbert zumindest in den letzten Jahren das Spiel mit Jungtauben und jährigen Tauben bevorzugt hat. Alle gereisten Tiere gingen auf nur sechs Paarungen zurück, die ich im Folgenden erläutern möchte:

Paar 1
Es wurde gebildet aus dem "Oude zwarte witpen" mit der Ringnummer 3044618/76 und der "Geschelpte Vanhoutteduivin" mit der Ringnummer 3391477/79. Der Vogel war damit die älteste Taube auf dem Schlage Gilberts und entstammte seiner "alten Sorte", was immer dies heissen mag. Das Weibchen hingegen war eine eingeführte Taube. Sie stammte aus zwei sehr erfolgreichen Tieren des Züchters Georges Vanhoutte aus Waregem, welches etwa drei Kilometer von Zulte entfernt liegt und war nicht mit den Tieren von Gilbert verwandt.
Das "Paar 1" war quasi das Basispaar des 1985 vorgefundenen Bestandes, denn insgesamt befanden sich 8 Kinder dieses Paares im Bestand (mehr als 1/6tel des Bestandes), wovon drei Kinder zur Zucht eingesetzt wurden, so dass sich 1985 zudem ingesamt 23 Enkel dieses Paares im Bestand befanden. Dieses Paar soll außerdem viele sehr gute Reisetauben gebracht haben

Paar 2
Der Vogel "Gouden zwarten sproetduiver" mit der Nummer 3354254/80 und die Täubin "Zwart bonte duivin" mit der Nummer 3354256/80 bildeten dieses Paar, welches Anfang der 80er belgienweit für Aufsehen sorgte. Sie sind die Eltern des "Rapido", des "Kupido", des "Panter", die sich zum Zeitpunkt der Versteigerung bereits seit ein paar Jahren auf dem Schlag von Verstraete befanden. Wie hoch aber auch Theo Gilbert selbst dieses Paar einschätzte, sieht man daran, dass insgesamt 15 Kinder dieses Paares (also 1/3tel des Bestandes) auf seinem Schlage saßen. Davon nutzte er zwei Kinder und zudem noch einen Enkel des Paares zur Zucht, dreizehn Kinder dieses Paares nutzte er also für die Preisflüge!
Der Vogel dieses Paares war ein direkter Sohn des "Paares 1". Die Mutter entstammte wiederum seiner "alten Sorte" und war wohl eine Tochter eines "Kampjoentje v. 72", was darauf hindeutet, dass zumindest ihr Vater selber ein sehr guter Flieger war.

Paar 3
Hierbei handelt es sich um eine Verpaarung von "Fremd" x "Paar 1"
Es befanden sich vier Jungtauben als einzige Nachfahren dieses Paares im Bestand.

Paar 4
Dies war eine Verpaarung "Paar 2" x "(Alte Sorte x Fremd)"
Es befanden sich als einzige Nachfahren drei Jungtauben im Bestand

Paar 5
Hier war "Fremd" x "Paar 2" verpaart. Es befanden sich ebenfalls nur drei Jungtauben als einzige Nachfahren im Bestand

Paar 6
Hier paarte er Nichte an Onkel nämlich "Paar 1" x "Paar 2". Dies war übrigens die engste Paarung die er durchführte. Aus diesem Paar befanden sich fünf Jungtiere als einzige Nachfahren im Bestand.

Die Interpretation
Dies war also der gesamte Bestand von Theo Gilbert im Jahre 1985. Folgende Dinge sind bei genauer Betrachtung seines Bestandes und der beschreibenden Texte im Verkaufsprogramm bemerkenswert:

- Sein Winterbestand betrug wohl nur knapp 20 Tiere!

- er züchtete somit jährlich gemessen an seinem Kleinstbestand ausgiebig und behielt nur grob 1/3tel dieser Jungtiere nach der Saison. Bei einem besonders schönen Tier aus seinem besten Paar machte er jedoch auch schon einmal eine Ausnahme und testete es sogar direkt in der Zucht, ohne es zuvor auf der Reise zu testen

- Theo Gilbert konzentrierte sich pro Generationsintervall (damit meine ich alle drei Jahre, da das Durchschnittalter seiner Alttiere ja ca. drei Jahre betrug) jeweils nur auf genau ein einziges Zuchtpaar! Dessen Nachtzucht mußte nicht nur gut oder sehr gut sein, sondern überragend! So wie dies bei "Paar 1" Ende der 70er der Fall war und später ab 1982 bei "Paar 2", welches wohl seither sein Stammzuchtpaar wurde.

- Aus diesem Stammzuchtpaar züchtete er jeweils sehr ausgiebig. Diese Nachzucht hatte offensichtlich Priorität vor allen anderen Zuchtpaaren. Es bereitete ihm keine Sorge, dass sogar ein Drittel seines Bestandes direkte Nachzucht dieses Paares war. Denn es war eben sein absolut bestes Zuchtpaar!

- diese besten Zuchtpaare wurden nicht getrennt und blieben zusammen bis ins hohe Alter. Auch aus einem sechsjährigen Weibchen und einem neunjährigen Vogel zog er noch ausgiebig.

- Kinder seines Stammpaares paarte er dann an eingeführte nicht verwandte Tiere oder an Tiere, die einer Paarung "eigene Sorte" x "Fremd" entstammten. Wobei "eigene Sorte" hier einen direkten Verwandten der Eltern des Stammpaares meint, so dass dieses Tier nicht komplett auf zugeführte Tauben zurückgeht.

- Er führte nahezu jährlich eine fremde Taube von außen ein, die nicht mit seiner Sorte verwandt war, jedoch erstklassige Qualität besaß. Dies meint ein sehr gutes Reisetier oder ein direktes Kind solcher erstklassigen Reisetiere.

- Diese verschiedenen eingeführten Tauben waren jedoch nicht zueinander verwandt.

- die eingeführten Tauben wurden in der Zucht zwei, maximal drei Jahre lang getestet und zogen dabei jährlich drei bis vier Jungtiere.

-Das beste so gezogene Kreuzungstier durfte im Bestand verbleiben und wurde nun in die eigene Sorte (also z.B. Kinder oder Enkel des Stammpaares) zurückgepaart. Ein eingeführtes Tier durfte nur dann verbleiben, wenn die Nachzucht sehr sehr gut war.

- Insgesamt befanden sich nur jeweils drei eingeführte Tiere und drei Kreuzungstiere der F1-Generation im Bestand. Der Rest des Bestandes ging direkt auf das Stammpaar oder frühere Generationen der eigenen Sorte zurück.

- Durch dieses Vorgehen war eine Onkel x Nichte Paarung die engste mögliche Verpaarung. Ein Inzuchtkoeffizient von 12,5% wird unter diesen Umständen niemals überschritten, und auch dieser Maximalwert tritt dann nur bei Einzelpaarungen auf und repräsentiert nicht den Inzuchtdurchschnitt des Bestandes. Durch die jährliche Einführung von einer fremden Taube konnte Gilbert so auch über -zig Jahrzehnte eine steigende Inzucht in seinem Kleinstbestand verhindern. Ein Abfall der Reiseleistung durch Inzuchtdepression stellte damit für seinen Bestand keine Gefahr dar.

- Gleichzeitig beschränkte Gilbert die Gesamtzahl der eingeführten Tiere und der Tiere die in erster Generation aus diesen eingeführten Tieren hervorgingen auf sehr wenige Tiere. Aus denen er dann in Rückpaarung mit seiner Sorte ein neues Stammpaar suchte.

Eventuell hierdurch konnte er den Grundcharakter seiner Tiere über einen so langen Zeitraum erhalten. Denn es ist sehr auffällig, wie ähnlich seine Tauben in den 40er Jahren von Piet de Weerd beschrieben wurden (groß, dunkel mit weißen Federchen, braune Augen, beste Eignung für die Mittelstrecke), und wie sehr dies in den 80er Jahren noch auf die Leistungsträger des Schlages Gilbert zutraf. Deutlich wird dies, wenn wir uns die Abbildung des "Paares 2" und die Abbildung des "Panter" anschauen. Es sind auch hier dunkele, praktisch schwarze Tauben, die neben ein paar weißen Federchen am Kopf noch einzelne Scheckfedern besaßen. Auch die Gilberttäubin von Michel Nachtergaele soll eine schwarze Täubin gewesen sein und ihr bester Sohn (ebenfalls schwarz) bekam den Namen "Witterugge" (Weißrücken) was auch hier das Vorhandensein weißer Federn signalisiert.

Auffällig: Die Äußere Erscheinung der Tauben von Theo Gilbert
In meinen Blog-Beiträgen zur Populationsgenetik habe ich darauf hingewiesen, dass Tauben vierzig Chromosomenpaare besitzen, und dass die leistungstragenden Eigenschaften durch die additive Wirkung einer Vielzahl von Genen bestimmt werden, die sich auf viele verschiedene Chromosomen verteilen können. Aus diesem Grunde ist es gefährlich von einem äußerlichen Merkmal einer Taube, wie z.b. ihrer Gefiederzeichnung oder Gefiederfarbe auf Leistungseigenschaften der Taube schließen zu wollen, da eine solche Äußerlichkeit meist nur von einem Gen bestimmt wird und damit auf nur einem der vierzig Chromosomen lokalisiert ist. Und ob gerdae auf diesem Chromosom ebenfalls auch ein für Taubenleistung wichtiges Gen lokalisiert ist, ist dann mehr als unsicher.

So hat sich z.B. gezeigt, dass die Gefiederfarbe "dominant rot" über ein Gen erzeugt wird, welches auf dem männlichen Geschlechtschromosom der Taube sitzt, von dem ein Vogel zwei und eine Weibchen eines besitzt. Da aber zwischen Vögeln und Weibchen keine signifikanten Unterschiede in den Reiseleistungen zu finden sind, und wenn überhaupt, dann eher zu Lasten der Vögel, und da zudem die Zuchtleistungen von sehr guten Reise-Weibchen nicht hinter denen von Vögeln zurückstehen, scheint das männliche Geschlechtschromosom also als Träger von wesentlichen leistungstragenden additiven Genen bei Tauben auszufallen (siehe auch hier).

Da ein Chromosom für gewöhnlich als Ganzes vererbt wird, und Gene des Geschlechtschromosoms immer nur auf dem Geschlechtschromosom sitzen und auf keinem anderen Chromosom (
Mutationen einmal nicht betrachtet), kann also mit der dominant roten Färbung von Tauben keine relevante Leistungseigenschaft gekoppelt vererbt werden.
Sprich: Bei Nachfahren von dominant roten Tauben ist es unerheblich, ob die Kinder ebenfalls rot sind. Sie könnten dennoch über alle guten Eigenschaften des Elterntieres verfügen, auch wenn sie einfach nur gehämmert oder blau ausfallen.

Bei den Tauben von Theo Gilbert ist jedoch eines besonders auffällig: Die immer vorhandene schwarze Färbung, ggf. sogar in Kombination mit weißen Federchen. Diese Kombination tritt seit den 40er Jahren bei seinen Tieren immer wieder auf. Und dies sogar bei Tauben, die nur der entfernten Nachzucht seiner Tauben entspringen, wie die Abbildung einer Taube auf meinem Schlag (letzte Abbildung) hier deutlich zeigt.

Dies könnte natürlich daran liegen, dass Theo Gilbert immer darauf geachtet hat, dass seine Hauptzuchttiere diesem Färbungstyp entsprachen. Doch war Theo Gilbert ein extrem leistungsorientierter Züchter, was auch die Erfolge seiner Tauben beweisen. Er hätte sicher keine Tauben auf seinem Schlage belassen, wenn sie keine Leistung gebracht hätten, nur weil sie schwarz waren. Und wie der Verkaufsprospekt zeigt, scheute er auch keineswegs davor zurück blaue und gehämmerte Tiere einzuführen, wenn nur die Leistung stimmte.

Ebenso war es bei Michel Nachtergaele. Seine Gilberttäubin war dunkel. Die wichtigsten Kinder dieser Täubin waren dunkel und die Leistungsträger, die bei seiner Jungtaubenversteigerung von 1956 aufgeführt wurden, gingen ebenfalls auf die Gilberttäubin zurück und waren meist dunkel.
Georget Pappens schickte mir all diese Unterlagen, da sein Vater selber Ende der 50er Jahre einen Enkel des "Coppi" von Nachtergaele einführte, der schwarz war. Zu dieser Zeit saßen im Bestand seines Vaters in überwiegender Zahl blaue und gehämmerte Tauben. Die wenigen Dunkelen gingen auf den Nachtergaele-Vogel zurück, wie ein Verkaufsprospekt von 1962 zeigt.
Siebzehn Jahre später, 1979 versteigerten G. und H. Pappens wiederum Tauben. Sie hatten sehr gute Erfolge vorzuweisen, ihre Tauben waren also in der Zwischenzeit eindeutig nach Leistung selektiert worden. Doch nun plötzlich befanden sich -zig schwarze und dunkele Tauben im Bestand mit sehr guten Flugleistungen und sie gingen alle auf den eingeführten dunkelen Vogel von Nachtergaele zurück!

Die schwarze bzw. dunkele Zeichnung vererbt sich gegenüber gehämmert und zweibindig-blau dominant. Dies bedeutet, dass der Nachwuchs einer spalterbig dunkelen Taube zu 50% ebenfalls dunkel sein wird. Und ebenso, dass sich aus Paarungen mit nicht dunkelen Tieren die dunkele Zeichnung nicht mehr hervorspalten kann. Was weg ist, ist weg. Somit sollte diese dunkele Zeichung in einem Bestand bei stetiger Zufuhr von blauen und/oder gehämmerten Tieren langsam in Unterzahl geraten und irgendwann sogar nahezu verschwinden.

Sie tat es aber nicht! Weder im Bestand von Michel Nachtergaele, noch im Bestand von Theo Gilbert. Und die dunkele Zeichnung verbreitete sich sogar zunehmend im Bestand von G. und H. Pappens. All diese Züchter waren jedoch stark leistungsorientierte Züchter und führten ständig "nicht dunkele" Tiere in ihren Bestand ein. Somit liegt in diesem speziellen Fall tatsächlich eine Kopplung von wertvollen Leistungseigenschaften der "Gilbert-Tauben" mit der dunkelen Färbung vor.

Sprich auf dem Chromosom, auf dem das Gen dieser Färbung sitzt, sind ebenso wichtige Gene (oder ev. auch nur eines) zu finden, die einen wesentlichen Teil der Leistungsfähigkeit dieser Tiere bestimmen. Anders ist es nicht zu erklären, wie sich diese dunkele Zeichnung über nunmehr zwanzig Generation vom "Oude Zwarte" Theo Gilberts aus den 40ern des letzten Jahrhunderts bis heute gehalten hat. Und dies bis hin zu Jos Vercammen, einem Züchter der auf die Leistung der Tiere schaut und eben nicht auf die Färbung und der seit der Einführung seines "Panter v. 86" fast ausschließlich anders gefärbte Tiere eingeführt hat. Dennoch, seine allerbesten Zuchttiere aus der Linie des "Panter" sind auch heute noch dunkel bis schwarz und weisen teilweise weiße Federn auf.

So eine hier auftretende Kopplung einer leicht zu erkennenden äußerlichen Eigenschaft mit leistungsbestimmenden Eigenschaften ist ein absoluter Glücksfall für den Züchter. Denn neben den Kriterien der Selektion über Flugleistung, Vitalität und Verhalten hat er hierdurch ein zusätzliches Kriterium, das er zur gesicherten Fortführung seiner Leistungslinie nutzen kann.
Und ich bin mir sicher, Theo Gilbert hat diesen Zusammenhang über all die Jahre zu seinem Vorteil zu nutzen gewußt.


An dieser Stelle muß aber noch einmal davor gewarnt werden, diese Besonderheit der Gilbert-Tauben zu verallgemeinern. Erstens meint dies nicht, dass alle ebenso dunkel gezeichneten Tauben gute Anlagen haben, denn wenn sie einer anderen Familie entstammen, könnte das entsprechende Chromosom komplett anders besetzt sein, und so z.B. auch eine negative Eigenschaft auf dem selben Chromosom der dunkelen Färbung liegen. Andererseits gibt es natürlich ganz sicher auch dasselbe Chromosom ohne jenes Gen für die dunkele Färbung, aber dennoch mit den anderen für die Leistung so positiven Genen. Auch blaue oder gehämmerte Tiere erringen schließlich aussergewöhnliche Leistungen. Und der "Klaren" von Desmet-Mathys war beispielsweise auch "nur" ein gehämmerter Vogel, hat also dieses Chromosom wohl nicht von seiner dunkelen Mutter erhalten, dafür aber ein zumindest gleichwertig gutes von seinem Vater, sonst wäre er nicht so ein prägender Vererber geworden.

Auf alle Ewigkeit sicher kann sich ein Züchter jedoch auch bei Entdeckung einer solchen Kopplung nicht sein, denn durch ein sogenanntes "crossing over" kann dieses schöne Paket an Eigenschaften, welches dort auf einem Chromosom konzentriert sitzt, wieder aufgeschnürt werden (siehe dazu hier). Auf eine stetige Zuchtprüfung durch den Korb, kann also auch dann nicht verzichtet werden.


Wie dem auch sei, hatte ich schon geschrieben, dass dunkelgehämmert bis schwarz zu einer meiner Lieblingsfärbungen bei Tauben gehört?

Freitag, 4. Dezember 2009

Der Riese unter den "Kleinen" (Teil 1)

Von Züchtern, die einen sehr guten Vererber besitzen, dessen Nachzucht atemberaubende Ergebnisse einfliegt, hörten wir alle schon einmal. Seltener ist es dann schon der Fall, dass die Nachzucht dieses Vererbers gleich auf mehreren verschiedenen Schlägen Außergewöhnliches zu Wege gebracht hat.
Doch wie oft haben wir schon von Tauben gehört, die ganze Schläge über Jahrzehnte geprägt haben? Das ist schon sehr selten. Wie oft hat aber unter diesen Fällen ein und die selbe Sorte Tauben eine ganze Hand voll von nationalen Spitzenzüchtern und sogar eine "Rasse" mit Weltruf hervorgebracht? Nun, spätestens jetzt müssen wir schon sehr genau nachdenken, um solche Fälle zu finden. Wenn wir dann noch fordern, dass die Tauben dieses Züchters, dieses Kunststück über einen Zeitraum von über 40 Jahren immer wieder fertig brachten, und dies sogar noch viele Jahre über die aktive Laufbahn des Züchters hinaus, dann fällt uns wohl nur noch der Schlag der Gebrüder Janssen ein. Doch spätestens mit folgender letzten Forderung sind auch die ehrwürdigen Gebrüder aus Arendonk aus dem Rennen: Der Züchter soll ein "Kleiner" sein, mit einem Bestand inkl. Jungtieren von weniger als 50 Tieren!

So etwas gibt es nicht? Doch! Es gab diesen bemerkenswerten Züchter, sein Name war Theo Gilbert aus Zulte.

Vor etwas mehr als einem Jahr gelangte ich in den Besitz von drei Tauben eines belgischen Spitzenschlages, der seit Jahrzehnten dort auf höchstem sogar nationalem Top-Niveau spielt. Da die drei Tauben aus den absoluten Top-Zuchttieren dieses Schlages stammten, habe ich sie eingeführt, obwohl mir ihr Äußeres eigentlich gar nicht so sehr zusagte, sie waren nämlich sehr dunkel gehämmert bis Schwarz, bzw. Schwarzschecken. Und diese Färbung hat mich nie besonders gereizt. Zudem waren sie recht groß und besaßen kastanienfarbene bis gelbbraune Augen. Auch dies gehört, wenn ich ein Wunschkonzert hätte, nicht gerade zu meinen Favoriten unter den Äußerlichkeiten. Doch die Leistung der direkten Verwandschaft und des Ursprungsschlages lassen mich über solche Nebensächlichkeiten gerne "hinwegsehen".

Beim Studieren der Abstammung der Neuerwerbungen, fiel mir sehr schnell auf, dass sie alle teils mehrfach auf eine Ursprungstaube zurückgingen, die man absolut zurecht als Stammtaube dieses belgischen Schlages bezeichen kann. Und diese Taube war der bekannte "Panter" von Jos Vercammen. Und er wurde ausgewiesen als ein Enkel des "Oude Panter v. 81" von, nun dies ist jetzt unschwer zu erraten: Theo Gilbert.
Eigentlich interessiert es mich gar nicht, was vor fünf, sechs Generationen im Stammbaum einer Taube steht, die aktuelle Verwandschaft ist mit ihrer Leistungsdichte entscheidend! Aber den Namen Theo Gilbert hatte ich doch schon früher einmal gelesen. War nicht die Mutter des "Klaren", der weltberühmten Stammtaube von Valère Desmet aus Nokere auch von einem Züchter gleichen Namens? Valère Desmet gründete auf Basis dieses "Klaren" ab Mitte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts seine "Taubenrasse" namens Desmet-Mathys, die mehrere Jahrzehnte weltweit für Furore sorgte.

Konnte das wirklich sein? Ein und derselbe Züchter hat in einem Abstand von über 40 Jahren zwei Weltklasse Kolonien quasi mitbegründet, und dennoch spricht man heute kaum über ihn und findet auch kaum ergiebige Informationen über ihn? Dieser Frage wollte ich nachgehen und natürlich auch, wie es diesem Theo Gilbert gelungen ist, über eine solch lange Zeit derartig durchschlagende Tauben zu züchten. Nach einiger Recherche und dank der Hilfe des belgischen Sportfreundes Georget Pappens (noch einmal vielen Dank an dieser Stelle, Georget) ergab sich für mich ein klareres Bild dieses aussergewöhnlichen Züchters. Theo Gilbert und das, was ich über seine Zuchtmethode herausfinden konnte, sind es mehr als wert, an dieser Stelle vorgestellt zu werden.

Beginnen wir in den 40er Jahren. Theo Gilbert besaß zu dieser Zeit mehreren Quellen zufolge (
z.B. Piet de Weerd Rauschende Flügel, S.76) einen erstklassigen Vererber: Den "Oude Zwarten". Über den Ursprung der Tauben von Theo Gilbert läßt sich jedoch wenig herausfinden.
Hier ist die Quellenlage sehr schlecht. Falls jedoch de Weerd und Edward Baeten ("De witte veer") recht haben, dann könnten seine Tauben letztendlich auf Tauben von Theo Vandevelde zurückgehen, die über die Gebr.Delombaerde und Vic Biebuyck ihren Weg bis zu Theo Gilbert fanden. Die Tauben von Theo Vandevelde haben auch einen wichtigen Anteil am Aufbau der Kolonien von Charles Vanderespt und der Gebr. Cattrysse geleistet.

Zurück zum "Oude Zwarten": Eine schwarze Tochter dieses Vogels ging zu Michel Nachtergaele ebenfalls wohnhaft in Zulte. Aus ihr zog er in kurzer Folge den "Frullen", den "Coppi", den "Witterugge" und noch einige weitere absolute Toptauben. Diese Tauben erflogen über eine Million Belgische Franc an Preisgeldern und dabei auch -zig erste Preise. Der "Coppi" und auch der "Witterugge" galten zusammen mit dem "Klaren" von Desmet-Matthijs als die besten Mittelstrecke-Tauben, die bis dahin in Belgien geflogen hatten. Michel Nachtergaele war durch die Nachzucht dieser Täubin und des "Coppi" und "Witterugge" über Jahre hinweg bis weit in die 50er Jahre hinein ein absoluter Spitzenschlag in Belgien. Da auch er nur einen überschaubaren Bestand besaß, gingen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren fast alle seine Tauben auf diese Stammtäubin von Theo Gilbert zurück. Dies beweist ein mir vorliegender Katalog einer Jungtaubenversteigerung, die Nachtergaele 1956 in Kortrijk abhielt.

Doch Nachtergaele profitierte nicht als einziger von diesen Tauben. Ein Belgier Namens Georges Busschaert besaß Töchter und Söhne des "Coppi" und des "Witterugge" und mit dem "Fijnen" einen direkten Sohn der Gilbert-Täubin Nachtergaeles. Mit diesen Tauben siedelte Busschaert aus beruflichen Gründen nach Kent in Großbritannien über und begründete dort den erfolgreichsten und bekanntesten Schlag, den es in Großbritannien je gegeben hat. Alan Wheeldon schreibt sogar, es gäbe keinen einzigen Züchter in Großbritannien, der nicht wenigstens einmal Buschaert-Tauben auf dem Schlag gehabt hätte.

Der "Oude Zwarten" von Theo Gilbert brachte mit einem anderen Weibchen eine weitere Tochter, die berühmt werden sollte: Die "Frulle", eine "enorm große, breite, flachgebaute imponierende Ente, aber ohne Gewicht." Sie war dunkel, hatte einige weiße Federchen in den Augenwinkeln und besaß bräunliche-dunkele Augen. So wurde sie von Piet de Weerd beschrieben (
Prof. Alfon Anker "Die Kunst des Züchtens", S.258). Sie besaß die Ringnummer B-38-3363097 und wurde gepaart an den "Oude Rosten". Aus dieser Paarung fiel dann der besagte "Klaren" mit der Ringnummer B-46-3060539. Er erfolg in sechs Jahren nicht nur 64 Preise bei 66 Einsätzen, sondern lag dabei 52 mal im ersten Zehntel der Tauben, 19mal im ersten Prozent und errang 489.499 Belgische Franc an Preisgeld.

Doch als Zuchtvogel war der "Klaren" noch besser. Und so konnte Valère Desmet basierend auf ihn einen Taubenstamm gründen, der unter dem Namen "Desmet-Mathys" weltbekannt werden sollte. Doch die Mutter des Klaren, war bei weitem nicht die einzige Taube von Theo Gilbert, die Desmet zur Bildung seines Stammes einsetzte. Laut Jules Gallez (
"Die Geschichte der Belgischen Reisetaube Teil I", S.309 ff) kamen darüber hinaus die "Roste duivin", die "Gilbert duivin" mit der Nr. B-45-234258, der Vater des Witoog direkt von Gilbert, und ein eingeführter Vogel von Gentil Rijsman war ebenfalls ein "halber Gilbert". Ob über diese fünf Gilbert Tauben hinaus weitere Gilbert Tauben am Aufbau des Stammes von Desmet-Mathys beteiligt waren, geben meine Quellen nicht her, wohl aber, dass Valére Desmet diese Tauben teils mehrfach im Stammaufbau durch gezielte Inzucht verankert hat. Wären es die 70er Jahre gewesen und Theo Gilbert wäre so populär gewesen, wie seinerzeit die Gebrüder Janssen, würde ich fast annehmen, dass der Stamm von Valére Desmet wohl eher nicht den Namen "Desmet-Mathys" bekommen hätte, sondern voller Stolz als Filialschlag von Theo Gilbert bezeichnet worden wäre. Doch Theo Gilbert war ein kleiner und offensichtlich sehr bescheidener Züchter, der keinen Wert auf Publicity legte.

Nun, nicht nur die direkten Kinder des Oude Zwarten von Theo Gilbert beeinflußten den Taubensport nachhaltig. Seine Tauben waren auch in den folgenden Jahrzehnten am Aufbau von nationalen Spitzenschlägen in Belgien beteiligt. Mitte der 50er Jahre bis hinein in die 70er wurden die Gebrüder Debaere aus Nokere durch ihre Erfolge weltberühmt. Auch ihre Tauben gingen auf die Stammlinie des Klaren von Desmet-Mathys und zahlreiche eingeführte Tauben von Theo Gilbert zurück (
Victor Vansalen "So züchten Meister", S. 125).

In Waregem reiste Jozef Verheye Jahre lang auf höchstem Niveau. Auch sein Schlag ging auf die Tauben von Theo Gilbert zurück. Er selbst bezeichnete sich im Totalverkaufsprospekt Theo Gilberts als eine Art Filialschlag von Theo Gilbert, dem er seine Erfolge zu verdanken habe.

Und schließlich in den 80ern machten wiederum drei direkte Theo Gilbert Tauben auf sich aufmerksam:
Der "Rapido" wurde 1. provinzale As-Taube Fond in Ost-Flandern mit dem Rekord-Koeffizienten von 0,59% und drei 1. Preisen ab Tours, sein Vollbruder der "Panter" (es ist dies der oben genannte "Oude Panter v. 81") gewinnt zweimal einen 1. Preis ab Orleans auf Provinzial-Ebene und ein weiterer Vollbruder der "Kupido" macht sich als sehr guter Zuchtvogel bei Raoul und Xavier Verstraete einen Namen. Auch der "Rapido" und der "Panter" wurden von Verstraete gekauft und sie sollten zu Stammtauben ihres Schlages in dieser Zeit werden. Aber nicht nur bei Verstraete sorgten diese Tauben in den 80ern und frühen 90ern durch die Erringung mancher nationaler Ehren für Aufsehen. In den Niederlanden wurde beispielsweise mit dem NL-89-2729024 genannt "Eurostar" (
offensichtlich ein beliebter Name) ein Verstraete-Vogel mit Rekordpunktzahl erste nationale As-Taube der Mittelstrecke. Und dieser Vogel war ein Enkel des "Rapido".

Alfons Slaets besaß einen Nachfahren des "Oude Panter v. 81". Und dieser Vogel gewann im direkten Vergleich gegen Tauben von Jos Vercammen. Dies schaffte sonst kaum einer, somit war für Jos Vercammen klar, welche Taube er kaufen mußte, um sich zu verstärken: eben genau diesen "Panter von 86" von Alfons Slaets. Darüber hinaus kaufte er noch weitere Nachkommen des "Oude Panter" und des "Rapido" direkt bei Verstraete und baute darauf seine bis heute an der nationalen Spitze in Belgien reisende Kolonie auf. Jüngstes Beispiel für diese Leistungsstärke ist die Erringung des 1. und 2. Preises national 2009 auf dem prestigeträchtigsten Flug von ganz Belgien: Dem Nationalflug Bourges. Ihre Tauben waren die zwei schnellsten gegen 64.621 Tauben. Im Stammbaum des Vaters des Nationalsiegers taucht der "Panter" viermal auf und im Stammbaum des 2.national taucht der "Panter" sogar fünf mal auf.

Michel Nachtergaele, Georges Busschaert, Desmet-Mathys, Gebr. Debaere, Jef Verheye, Alfons Slaets, R. und X. Verstraete, Jos Vercammen und seine eigenen Erfolge, was meinst du, lieber Leser: Habe ich im einleitenden Absatz übertrieben, was die Leistungen und den Einfuß der Tauben von Theo Gilbert betrifft? Ich glaube nicht.

Im zweiten Teil werde ich versuchen der Zuchstrategie von Theo Gilbert auf die Spur zu kommen.