Freitag, 29. August 2008

Populationsgenetik für Taubenväter (Teil 1)

In der Schule habe ich Latein als Fach lernen müssen. Und es hat tiefe Spuren hinterlassen. Nein, nicht dass sich mir dadurch der Weg zu Erkenntnissen des Altertums eröffnet hätte oder Interesse für diese Epoche geweckt worden wäre. Ganz im Gegenteil: Nach -zig Episoden aus "de bello gallico" und unzähligen Reden irgendwelcher Senatoren vor dem Römischen Senat, die es zu übersetzen galt (und die Politiker waren damals so langweilig wie heute), hatte ich eine tiefgreifende Aversion auf das Altertum entwickelt. Und so kommt es, dass mir die Griechischen Sagen und Mythen weitgehend unbekannt blieben.

Aber an eine Sage erinnerte ich mich dann doch, als ich nach meinem Wiederbeginn mit Tauben das Erste mal über möglichen Paarungen meiner neu erworbenen Zuchttauben nachdachte. Es war die Geschichte von König Ödipus, der aufgrund eines Fluches, der auf seiner Familie lastete, ohne sein Wissen seine eigene Mutter ehelichte. Und daraus entwickelte sich absolut nichts Gutes: Als Ödipus und seine Mutter erfuhren, wie die Dinge wirklich lagen, brachte sie sich um, und Ödipus stach sich die Augen aus und floh. Und die Kinder der beiden brachten sich gegenseitig um oder ereiferten sich in Hochmut vor den Göttern an dem sie zu Grunde gingen.
Und die Moral von der Geschicht: Inzucht gut gedeiet nicht!

War es wirklich so einfach? Was passiert eigentlich im Detail bei der Paarung? Gibt es modernere Erkenntnisse (als die der alten Griechen), die mir bei der zukünftigen Zuchtplanung helfen könnten? Als einer, der an die Errungenschaften der modernen Forschung glaubt (ja auch das ist schließlich nur Glaube), habe ich mich in die sogenannte Populationsgenetik eingelesen. Schnell war mir klar: Das war genau die Hilfestellung die ich gesucht habe! Doch es wurde mir auch klar, warum so wenig von diesen Erkenntnissen in der Taubenzucht ihren Niederschlag findet. Wir Taubenväter (
und das ist jetzt nicht ausgrenzend gemeint liebe Züchterinnen, sondern entspricht leider den realen Zahlenverhältnissen von Züchtern zu Züchterinnen!) sind viel zu vernarrt in unsere Lieblinge, als das wir Lust hätten, so tief in irgendwelche kompizierten Theorien einzusteigen. Und studieren wollen wir doch erst recht nicht müssen, um unser Hobby zu verstehen.

Dennoch, ich halte Manches aus der Populationsgenetik auch für Taubenzüchter für sehr hilfreich und wissenswert und möchte im Folgenden versuchen ein paar Gedankengänge und Ansätze hieraus für Taubenväter (OK, und Taubenmütter) verständlich zu erläutern.


Die Gene, was sie sind und wozu sie da sind
Alle Lebewesen, wir und unsere Tauben bestehen aus Körperzellen. Und in (fast) allen Körperzellen des Menschen und der Taube befindet sich ein Zellkern. Im Zellkern wiederum befinden sich sehr lange Moleküle aus bestimmten Substanzen, DNS genannt, die man sich wie eine Nachricht an die Zelle bzw. den Organismus vorstellen kann. Diese Nachricht ist zwar nur in vier verschiedenen Buchstaben geschrieben (A, G, C, T), doch da sie sehr lang ist, enthält sie eine sehr große Informationsmenge. Und diese Information beschreibt im Wesentlichen wie das Lebewesen aussehen soll, wie es funktioniert, wie es sich benimmt, was es kann, und was es nicht kann. Praktisch wie ein Bauplan für dieses Lebewesen.

Bei unseren Tauben befindet sich nicht nur eine dieser langen Nachrichten im Zellkern. Nein es ist leider etwas komplizierter. Zum einen besteht eine komplette Nachricht immer aus einer Hälfte der Geschichte die von der Mutter kommt und einer Hälfte, die vom Vater kommt. Und wie die Eltern, so gehören auch diese Nachrichtenhälften zueinander und machen gemeinsame Sache: Sie bilden ein Kapitel im Bauplan dieser Taube, welches man auch Chromosomen-Paar nennt. Beim Menschen hat der gesamte Bauplan 23 Kapitel, bei der Taube sind es (wenn ich einem Artikel der Uni Genf glauben schenke) 40 Kapitel (sprich 40 Chromosomen-Paare bzw. 80 Chromosomen).

Wie in einem Buch die Seiten ordentlich gebunden sind, damit man es transportieren und lesen kann, so ist der Bauplan mit seinen Kapiteln im Zellkern auch in einer gewissen Ordnung zusammen gefaßt. Dort sieht das Ganze zwar nicht wie ein Buch aus, doch bilden die DNS Moleküle sehr hübsch anzusehende "Schnüre". Und diese Schnüre sind jeweils so lang, dass sie sich zu einer Art Kordel zusammendröseln. Und diese Kordeln vom Vater und von der Mutter kann man sogar unter dem Mikroskop sehen. Es sind also Moleküle, die so groß sind, dass man sie tatsächlich mit dem Mikroskop sehen kann!
Wenn man sich vorstellt, dass ein einzelner Buchstabe in diesem Bauplan kaum ein paar millionstel Millimeter groß ist, und ein Kapitel dieses Bauplans aber ein paar hundertstel Millimeter groß ist, und alle diese Schnüre aufgedröselt und hintereinandergelegt sogar mehrere Meter lang wären, kann man sich vorstellen, dass dieser Bauplan aus sehr vielen Buchstaben geschrieben wurde. Es sind hunderte von Millionen.

Doch es interessiert in einem Buch oder Bauplan ja nicht der einzelne Buchstabe, sondern die Worte und die sich daraus ergebenden Sätze. Die Chromosomen besitzen viele solcher "Sätze", die Gene. Diese stellen konkrete Informationen für ein bestimmtes Detail des Bauplanes der Taube wie z.B. die Gefiedergrundfarbe dar. Komplexe Lebewesen wie der Mensch oder auch die Taube haben mehrere 10.000 Gene in ihren Chromosomen "niedergeschrieben". Und zwischen den Genen stehen auch noch viele Worte, die meist keinen kompletten Satz (sprich Gen) ergeben, aber dennoch Einfluß haben. Sie markieren und trennen einzelne Sätze (Gene) in dem Bauplan, damit die Informationen auch vollständig vom Organismus ausgewertet werden können und nichts durcheinander kommt.

Und trotz dieser großen Anzahl an Genen und dem sich daraus ergebenden nahezu undurchdringbaren Chaos an Information, konnte man im Rahmen der Forschung einige Gesetzmäßigkeiten ableiten, die uns beim Züchten helfen. Manche Zuchtergebnisse kann man sogar vorhersagen, ohne dass man paaren und züchten muß!


Warum gibt es Männlein und Weiblein?
Nein, nicht um uns zu ärgern, wie man vermuten könnte. Es gibt zwei Geschlechter, damit wir uns in unseren Eigenschaften ergänzen können, und diese Kombination unserer Eigenschaften sich in unseren Kindern wiederfindet. Denn wie bereits gesagt: Unser Bauplan in der Zelle enthält immer eine Hälfte von der Mutter und eine Hälfte vom Vater. Würden wir nur Eingeschlechtlich sein, und unsere Kinder z.B. nach einer durchfeierten Nacht ohne weiteres zutun eines anderen Menschen "erzeugen", so könnten sie ja wiederum nur unseren eigenen Bauplan enthalten und sähen genau so aus wie wir und würden die selben Eigenschaften und Stärken haben.
Toll wenn wir perfekt wären. Aber die meisten Menschen, die ich kenne, mich eingeschlossen, sind es leider nicht. Und so ist es denn auch nicht so schlecht von der Natur, dass wir es mit ein bischen Mischen der Karten im Spiel versuchen, und schauen, ob unsere Kinder dann mit dem Spiel des Lebens besser zurecht kommen, als wir es vielleicht konnten.
Geschlechtliche Fortpflanzung erhöht also die Anpassungsfähigkeit einer Art an die Umwelt und zudem macht sie auch noch Spaß (sozusagen die Belohnung der Natur für unsere Mühen, die wir unzweifelhaft auch mit diesem Thema haben).

Die Idee ist also Variation ins Spiel zu bringen, um irgendwie immer eine Lösung für Probleme zu finden, denen sich eine Art ausgesetzt sehen kann. Und bereits hier wird deutlich, warum Inzest im menschlichen Kulturgut als unsittlich und verachtenswert gilt: Es entspricht nicht der Absicht, der Natur, dass wir unser bereits zur Hälfte aus dem Erbgut der Mutter bestehendes Erbgut wieder mit dem Erbgut der Mutter zusammenbringen, denn da kommt ja kaum Neues zuwege. Wer hätte das gedacht: Die Entstehung der altgriechischen Sage von Ödipus hat einen genetischen Hintergrund!

Doch hiermit möchte ich das Thema der Inzucht in der Taubenzucht nicht für alle Zeit beschließen. Später werde ich noch einmal darauf zurück kommen.

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