Freitag, 4. Dezember 2009

Der Riese unter den "Kleinen" (Teil 1)

Von Züchtern, die einen sehr guten Vererber besitzen, dessen Nachzucht atemberaubende Ergebnisse einfliegt, hörten wir alle schon einmal. Seltener ist es dann schon der Fall, dass die Nachzucht dieses Vererbers gleich auf mehreren verschiedenen Schlägen Außergewöhnliches zu Wege gebracht hat.
Doch wie oft haben wir schon von Tauben gehört, die ganze Schläge über Jahrzehnte geprägt haben? Das ist schon sehr selten. Wie oft hat aber unter diesen Fällen ein und die selbe Sorte Tauben eine ganze Hand voll von nationalen Spitzenzüchtern und sogar eine "Rasse" mit Weltruf hervorgebracht? Nun, spätestens jetzt müssen wir schon sehr genau nachdenken, um solche Fälle zu finden. Wenn wir dann noch fordern, dass die Tauben dieses Züchters, dieses Kunststück über einen Zeitraum von über 40 Jahren immer wieder fertig brachten, und dies sogar noch viele Jahre über die aktive Laufbahn des Züchters hinaus, dann fällt uns wohl nur noch der Schlag der Gebrüder Janssen ein. Doch spätestens mit folgender letzten Forderung sind auch die ehrwürdigen Gebrüder aus Arendonk aus dem Rennen: Der Züchter soll ein "Kleiner" sein, mit einem Bestand inkl. Jungtieren von weniger als 50 Tieren!

So etwas gibt es nicht? Doch! Es gab diesen bemerkenswerten Züchter, sein Name war Theo Gilbert aus Zulte.

Vor etwas mehr als einem Jahr gelangte ich in den Besitz von drei Tauben eines belgischen Spitzenschlages, der seit Jahrzehnten dort auf höchstem sogar nationalem Top-Niveau spielt. Da die drei Tauben aus den absoluten Top-Zuchttieren dieses Schlages stammten, habe ich sie eingeführt, obwohl mir ihr Äußeres eigentlich gar nicht so sehr zusagte, sie waren nämlich sehr dunkel gehämmert bis Schwarz, bzw. Schwarzschecken. Und diese Färbung hat mich nie besonders gereizt. Zudem waren sie recht groß und besaßen kastanienfarbene bis gelbbraune Augen. Auch dies gehört, wenn ich ein Wunschkonzert hätte, nicht gerade zu meinen Favoriten unter den Äußerlichkeiten. Doch die Leistung der direkten Verwandschaft und des Ursprungsschlages lassen mich über solche Nebensächlichkeiten gerne "hinwegsehen".

Beim Studieren der Abstammung der Neuerwerbungen, fiel mir sehr schnell auf, dass sie alle teils mehrfach auf eine Ursprungstaube zurückgingen, die man absolut zurecht als Stammtaube dieses belgischen Schlages bezeichen kann. Und diese Taube war der bekannte "Panter" von Jos Vercammen. Und er wurde ausgewiesen als ein Enkel des "Oude Panter v. 81" von, nun dies ist jetzt unschwer zu erraten: Theo Gilbert.
Eigentlich interessiert es mich gar nicht, was vor fünf, sechs Generationen im Stammbaum einer Taube steht, die aktuelle Verwandschaft ist mit ihrer Leistungsdichte entscheidend! Aber den Namen Theo Gilbert hatte ich doch schon früher einmal gelesen. War nicht die Mutter des "Klaren", der weltberühmten Stammtaube von Valère Desmet aus Nokere auch von einem Züchter gleichen Namens? Valère Desmet gründete auf Basis dieses "Klaren" ab Mitte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts seine "Taubenrasse" namens Desmet-Mathys, die mehrere Jahrzehnte weltweit für Furore sorgte.

Konnte das wirklich sein? Ein und derselbe Züchter hat in einem Abstand von über 40 Jahren zwei Weltklasse Kolonien quasi mitbegründet, und dennoch spricht man heute kaum über ihn und findet auch kaum ergiebige Informationen über ihn? Dieser Frage wollte ich nachgehen und natürlich auch, wie es diesem Theo Gilbert gelungen ist, über eine solch lange Zeit derartig durchschlagende Tauben zu züchten. Nach einiger Recherche und dank der Hilfe des belgischen Sportfreundes Georget Pappens (noch einmal vielen Dank an dieser Stelle, Georget) ergab sich für mich ein klareres Bild dieses aussergewöhnlichen Züchters. Theo Gilbert und das, was ich über seine Zuchtmethode herausfinden konnte, sind es mehr als wert, an dieser Stelle vorgestellt zu werden.

Beginnen wir in den 40er Jahren. Theo Gilbert besaß zu dieser Zeit mehreren Quellen zufolge (
z.B. Piet de Weerd Rauschende Flügel, S.76) einen erstklassigen Vererber: Den "Oude Zwarten". Über den Ursprung der Tauben von Theo Gilbert läßt sich jedoch wenig herausfinden.
Hier ist die Quellenlage sehr schlecht. Falls jedoch de Weerd und Edward Baeten ("De witte veer") recht haben, dann könnten seine Tauben letztendlich auf Tauben von Theo Vandevelde zurückgehen, die über die Gebr.Delombaerde und Vic Biebuyck ihren Weg bis zu Theo Gilbert fanden. Die Tauben von Theo Vandevelde haben auch einen wichtigen Anteil am Aufbau der Kolonien von Charles Vanderespt und der Gebr. Cattrysse geleistet.

Zurück zum "Oude Zwarten": Eine schwarze Tochter dieses Vogels ging zu Michel Nachtergaele ebenfalls wohnhaft in Zulte. Aus ihr zog er in kurzer Folge den "Frullen", den "Coppi", den "Witterugge" und noch einige weitere absolute Toptauben. Diese Tauben erflogen über eine Million Belgische Franc an Preisgeldern und dabei auch -zig erste Preise. Der "Coppi" und auch der "Witterugge" galten zusammen mit dem "Klaren" von Desmet-Matthijs als die besten Mittelstrecke-Tauben, die bis dahin in Belgien geflogen hatten. Michel Nachtergaele war durch die Nachzucht dieser Täubin und des "Coppi" und "Witterugge" über Jahre hinweg bis weit in die 50er Jahre hinein ein absoluter Spitzenschlag in Belgien. Da auch er nur einen überschaubaren Bestand besaß, gingen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren fast alle seine Tauben auf diese Stammtäubin von Theo Gilbert zurück. Dies beweist ein mir vorliegender Katalog einer Jungtaubenversteigerung, die Nachtergaele 1956 in Kortrijk abhielt.

Doch Nachtergaele profitierte nicht als einziger von diesen Tauben. Ein Belgier Namens Georges Busschaert besaß Töchter und Söhne des "Coppi" und des "Witterugge" und mit dem "Fijnen" einen direkten Sohn der Gilbert-Täubin Nachtergaeles. Mit diesen Tauben siedelte Busschaert aus beruflichen Gründen nach Kent in Großbritannien über und begründete dort den erfolgreichsten und bekanntesten Schlag, den es in Großbritannien je gegeben hat. Alan Wheeldon schreibt sogar, es gäbe keinen einzigen Züchter in Großbritannien, der nicht wenigstens einmal Buschaert-Tauben auf dem Schlag gehabt hätte.

Der "Oude Zwarten" von Theo Gilbert brachte mit einem anderen Weibchen eine weitere Tochter, die berühmt werden sollte: Die "Frulle", eine "enorm große, breite, flachgebaute imponierende Ente, aber ohne Gewicht." Sie war dunkel, hatte einige weiße Federchen in den Augenwinkeln und besaß bräunliche-dunkele Augen. So wurde sie von Piet de Weerd beschrieben (
Prof. Alfon Anker "Die Kunst des Züchtens", S.258). Sie besaß die Ringnummer B-38-3363097 und wurde gepaart an den "Oude Rosten". Aus dieser Paarung fiel dann der besagte "Klaren" mit der Ringnummer B-46-3060539. Er erfolg in sechs Jahren nicht nur 64 Preise bei 66 Einsätzen, sondern lag dabei 52 mal im ersten Zehntel der Tauben, 19mal im ersten Prozent und errang 489.499 Belgische Franc an Preisgeld.

Doch als Zuchtvogel war der "Klaren" noch besser. Und so konnte Valère Desmet basierend auf ihn einen Taubenstamm gründen, der unter dem Namen "Desmet-Mathys" weltbekannt werden sollte. Doch die Mutter des Klaren, war bei weitem nicht die einzige Taube von Theo Gilbert, die Desmet zur Bildung seines Stammes einsetzte. Laut Jules Gallez (
"Die Geschichte der Belgischen Reisetaube Teil I", S.309 ff) kamen darüber hinaus die "Roste duivin", die "Gilbert duivin" mit der Nr. B-45-234258, der Vater des Witoog direkt von Gilbert, und ein eingeführter Vogel von Gentil Rijsman war ebenfalls ein "halber Gilbert". Ob über diese fünf Gilbert Tauben hinaus weitere Gilbert Tauben am Aufbau des Stammes von Desmet-Mathys beteiligt waren, geben meine Quellen nicht her, wohl aber, dass Valére Desmet diese Tauben teils mehrfach im Stammaufbau durch gezielte Inzucht verankert hat. Wären es die 70er Jahre gewesen und Theo Gilbert wäre so populär gewesen, wie seinerzeit die Gebrüder Janssen, würde ich fast annehmen, dass der Stamm von Valére Desmet wohl eher nicht den Namen "Desmet-Mathys" bekommen hätte, sondern voller Stolz als Filialschlag von Theo Gilbert bezeichnet worden wäre. Doch Theo Gilbert war ein kleiner und offensichtlich sehr bescheidener Züchter, der keinen Wert auf Publicity legte.

Nun, nicht nur die direkten Kinder des Oude Zwarten von Theo Gilbert beeinflußten den Taubensport nachhaltig. Seine Tauben waren auch in den folgenden Jahrzehnten am Aufbau von nationalen Spitzenschlägen in Belgien beteiligt. Mitte der 50er Jahre bis hinein in die 70er wurden die Gebrüder Debaere aus Nokere durch ihre Erfolge weltberühmt. Auch ihre Tauben gingen auf die Stammlinie des Klaren von Desmet-Mathys und zahlreiche eingeführte Tauben von Theo Gilbert zurück (
Victor Vansalen "So züchten Meister", S. 125).

In Waregem reiste Jozef Verheye Jahre lang auf höchstem Niveau. Auch sein Schlag ging auf die Tauben von Theo Gilbert zurück. Er selbst bezeichnete sich im Totalverkaufsprospekt Theo Gilberts als eine Art Filialschlag von Theo Gilbert, dem er seine Erfolge zu verdanken habe.

Und schließlich in den 80ern machten wiederum drei direkte Theo Gilbert Tauben auf sich aufmerksam:
Der "Rapido" wurde 1. provinzale As-Taube Fond in Ost-Flandern mit dem Rekord-Koeffizienten von 0,59% und drei 1. Preisen ab Tours, sein Vollbruder der "Panter" (es ist dies der oben genannte "Oude Panter v. 81") gewinnt zweimal einen 1. Preis ab Orleans auf Provinzial-Ebene und ein weiterer Vollbruder der "Kupido" macht sich als sehr guter Zuchtvogel bei Raoul und Xavier Verstraete einen Namen. Auch der "Rapido" und der "Panter" wurden von Verstraete gekauft und sie sollten zu Stammtauben ihres Schlages in dieser Zeit werden. Aber nicht nur bei Verstraete sorgten diese Tauben in den 80ern und frühen 90ern durch die Erringung mancher nationaler Ehren für Aufsehen. In den Niederlanden wurde beispielsweise mit dem NL-89-2729024 genannt "Eurostar" (
offensichtlich ein beliebter Name) ein Verstraete-Vogel mit Rekordpunktzahl erste nationale As-Taube der Mittelstrecke. Und dieser Vogel war ein Enkel des "Rapido".

Alfons Slaets besaß einen Nachfahren des "Oude Panter v. 81". Und dieser Vogel gewann im direkten Vergleich gegen Tauben von Jos Vercammen. Dies schaffte sonst kaum einer, somit war für Jos Vercammen klar, welche Taube er kaufen mußte, um sich zu verstärken: eben genau diesen "Panter von 86" von Alfons Slaets. Darüber hinaus kaufte er noch weitere Nachkommen des "Oude Panter" und des "Rapido" direkt bei Verstraete und baute darauf seine bis heute an der nationalen Spitze in Belgien reisende Kolonie auf. Jüngstes Beispiel für diese Leistungsstärke ist die Erringung des 1. und 2. Preises national 2009 auf dem prestigeträchtigsten Flug von ganz Belgien: Dem Nationalflug Bourges. Ihre Tauben waren die zwei schnellsten gegen 64.621 Tauben. Im Stammbaum des Vaters des Nationalsiegers taucht der "Panter" viermal auf und im Stammbaum des 2.national taucht der "Panter" sogar fünf mal auf.

Michel Nachtergaele, Georges Busschaert, Desmet-Mathys, Gebr. Debaere, Jef Verheye, Alfons Slaets, R. und X. Verstraete, Jos Vercammen und seine eigenen Erfolge, was meinst du, lieber Leser: Habe ich im einleitenden Absatz übertrieben, was die Leistungen und den Einfuß der Tauben von Theo Gilbert betrifft? Ich glaube nicht.

Im zweiten Teil werde ich versuchen der Zuchstrategie von Theo Gilbert auf die Spur zu kommen.

1 Kommentar:

  1. Hallo Meinolf!

    Danke für diesen hochinteressanten Beitrag. Ich freue mich schon auf den zweiten Teil über die Zuchtstrategien.

    Bleibt nur noch abzuwarten, wie erfolgreich du mit den drei Tauben aus dem belgischen Spitzenschlag mit der Quelle Theo Gilbert ist. Ich wünsche dir ganz viel Erfolg, zumal mir, im Gegensatz zu dir, genau dieser Taubentyp immer sehr zusagt.

    Nochmals Danke für den informativen Artikel.

    Weiter so,
    mit freundlichen Grüßen
    Sascha Mimberg

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