Sonntag, 28. November 2010

Think big

Wer bereits einmal Maschinen, Haushaltsgeräte oder Autos aus den USA mit Europäsichen Modellen verglichen hat, versteht sehr schnell, warum die von mir gewählte Überschrift (frei übersetzt "denke im großen Maßstab") dieses Blog-Beitrags nur aus Armerika stammen konnte.

Betrachten wir die Entwicklung der Größe der unserer Winterbestände an Brieftauben, so könnte man annehmen wir hätten uns die Amerikaner zum Vorbild gemacht. Während 1982 die durchschnittliche Bestandsgrößen im Raum Dortmund noch bei etwa 44 Tieren lag (Quelle: "Leben mit Brieftauben", S.226, Westfalen Verlag), so übersteigen heute bereits nur die Reisemannschaften vieler Züchter diese Zahl. Nicht zur Mannschaft gehörige Weibchen und Zuchttauben sind dabei noch gar nicht mitgezählt. Vermutlich liegt eine mittlere Bestandgröße heute etwa doppelt so hoch, wie noch vor dreißig Jahren, wobei insbesondere die Anzahl der sehr großen Bestände zugenommen hat.

Ich persönlich bin der Meinung, dass diese Entwicklung an sich auch kein Problem darstellt, solange jeder Züchter und jeder der es werden möchte, frei entscheiden kann, wie groß sein eigener Bestand sein soll und er damit glücklich und zufrieden im Taubensport werden kann. Denn dann wird dieser Züchter dem Sport zumindest schon einmal nicht nicht aus diesem Grunde verloren gehen.

Es ist ofmals so, dass viele Züchter (und insbesondere potentielle Interessenten für unser Hobby!) einen großen Bestand gar nicht halten könnten, selbst wenn sie es wollten. Dabei ist noch nicht einmal die Limitation durch die finanziellen Möglichkeiten an erster Stelle zu nennen. Gerade für Personen, die nicht auf dem Lande wohnen (und dies sind 85% der deutschen Bevölkerung!), sind die räumlichen Gegegebenheiten oft begrenzt und in gemischten Wohngebieten liegt die von den meisten Gemeinden zugestandene Bestandsgröße bei nur 50 Tieren! Auch ältere Sportfreunde haben irgendwann nicht mehr die Kraft und gesundheitliche Leistungsfähigkeit einen großen Bestand zu versorgen und müssen ihre Bestandsgröße in Folge dieser Umstände reduzieren.

Als ich am letzten Wochenende an einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des deutschen Brieftaubensportes teilnahm, äußerte sich ein Mitglied der Sportkommission des Verbandes mit Bezug auf die aktuellen Vorschläge zur diesjährigen Mitgliederversammlung dahingehend, dass man gerne Satzzahlbegrenzungen in die Meisterschaftsausschreibungen aufgenommen hätte, um in Zukunft auch kleineren Beständen wieder mehr den Weg zu ebnen. Dies habe sich jedoch nach Prüfung des rechtlichen Rahmens nicht umsetzen lassen.

Ich persönlich war über diesen gesamten Gedankengang irritert. Wenn man den stetig wachsenden Bestandsgrößen entgegenwirken will, um den Taubensport für eine breite Masse an Interessenten attraktiv zu halten, wäre aus meiner Sicht zunächst der Blick auf die Ursachen dieses Wachstums angesagt. Beseitigt man die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung, erreicht man sehr viel mehr und dies vor allem nachhaltiger. Ein Diktat der Bestandsgrößen durch den Verband und damit ein massiver Eingriff in die züchterische Freiheit wäre dabei gar nicht nötig.


Wer öfters liest, was ich so schreibe, weiß natürlich worauf ich hinaus will: Bei allen Meisterschaften, die die x besten Tauben ohne Bezug zur Mannschaftsgröße eines Züchters zur Bedingung haben, führt ein größerer Reisebestand zu spürbar besseren Chancen, so eine Meisterschaft erringen zu können! Und da die allermeisten Meisterschaften in den Rven, den Fluggemeinschaften und sogar in den Regionalverbänden immer noch nach diesem Muster gestrickt sind, haben sie einen massiven Einfluss auf die oben genannte Entwicklung gehabt, denn es sind genau diese Meisterschaften, die realistisch von jedem Züchter als Ziel anvisiert werden können, und nicht die Verbandsmeisterschaft.




Heute möchte ich diese immer wieder von mir vorgetragene These anhand konkreter Zahlen stützen. Denn immer noch sind in Gesprächen und Diskussionen zu dieser Fragestellung Argumente zu hören, wie "Man kann auch mit wenig Tauben Meister werden. Bei uns ist der Züchter XY mit ganz wenig Tauben immer mit vorne dabei.", "Es sind doch ohnehin immer die Gleichen vorne, da ändert doch der Meisterschaftsmodus nichts dran." Bei solchen Diskussionen wird jedoch immer wieder vergessen, dass man nicht mit Einzelfällen gegen eine allgemeine Tendenz argumentieren kann.

Man muss statt dessen einmal eine große Zahl von Züchtern im Umfeld einer "x besten Meisterschaft" betrachten, um den Effekt eines solchen Meisterschaftsmodus zu verdeutlichen. In meinem Regionalverband hatten wir in diesem Jahr sieben Regionalflüge aus deren Ergebnissen über einen "fünf-beste-Tauben"-Modus ein Regionalverbands-Meister ermittelt wurde. Legen wir die Zahlen des ersten Regionalfluges zugrunde, standen hierbei 630 reisende Schläge mit 18.179 Tauben zu Beginn miteinander im Wettbewerb. Diese Datenbasis ist mehr als nur ausreichend, um statistisch belastbare Aussagen zu treffen. Die abgeleiteten Aussagen gelten daher UNEINGESCHRÄNKT auch für kleinere Organisationen, selbst wenn dort eine derartige Auswertung wegen einer sehr viel kleineren statistischen Stichprobe einmal eine weniger eindeutige Aussage ergeben sollte.

Zur Auswertung habe ich die bestplatzierten 53 Züchter in dieser Regionalverbandsmeisterschaft betrachtet, und somit nur die besten 8,4% aller Züchter des gesamten Regionalverbandes. Dies alles sind also Züchter, bei denen wir annehmen können, dass sie mit Tauben umgehen können, dass sie allesamt nicht zu den schlechten Versorgern gehören, dass sie allesamt fitte Tauben zum Einsatz gebracht haben und dass sie allesamt auch ausreichend gute Tauben auf dem Schlag haben, um sich gut zu platzieren.

Nun haben diese besten Schläge des Regionalverbandes sich natürlich dennoch unterschiedlich in der Regionalverbandsmeisterschaft platziert. Und sicher wird ein Grund dafür darin bestehen, dass es auch unter den Guten immer noch Bessere gibt. Auch mag der eine Züchter mehr Glück mit seinen Zählern gehabt haben, als der andere Züchter. Und so finden wir unter diesen bestplatzierten Züchtern eine gewisse Streuung in der von ihnen auf den Regionalflügen erbrachten Reiseleistung. Interessant ist dabei jedoch die Feststellung, dass die erbrachte Reiseleistung keinerlei Abhängigkeit zur Größe der Reisemannschaft zeigt

Dies zeigt Abbildung 1 (zum Vergrößern anclicken). Hier wurden die erbrachten Reiseleistungen den Mannschaftsgrößen gegenübergestellt und jeder Schlag mit einem Punkt eintragen. Für Schläge mit einer großen Mannschaft liegt ihr Punkt weiter rechts im Diagramm. Bei Schlägen mit kleinerer Reiseleistung liegt der Punkt dann weiter unten. Hätte nun ein Zusammenhang zwischen der Reiseleistung und der Größe der Mannschaft bestanden, beispielsweise in der Form, dass größere Schläge auch besser reisen, so hätten die eingezeichneten Punkte in der Tendenz von links unten nach rechts oben ansteigen müssen. Sie tun es aber, wie leicht ersichtlich ist, nicht und bilden statt dessen einen Punktehaufen ohne ansteigende oder abfallende Tendenz.
(für Interessierte: die eingezeichnete Linie ist der Trend dem diese Punkte folgen, er wurde mit Hilfe der anerkannten statistischen Methode der linearen Regression berechnet, die erhaltene Geradengleichung ist ebenfalls abgebildet).

In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine große Reisemannschaft keine bessere Reiseleistung bringt! Eine Feststellung die auch nicht überrascht, aber dennoch wichtig ist, in diesem Zusammenhang festgestellt zu werden. Warum? Das, werden wir sehen, wenn wir Abbildung 2 näher betrachten:

Hier wurde der Platzierung eines Schlages in der Meisterschaft seine jeweilige Mannschaftsgröße gegenüber gestellt. Der Punkt für größere Schläge liegt hierbei weiter oben, und für Schläge mit einer besseren Platzierung weiter links (dort befindet sich Platz 1 in der Meisterschaft). Wenn nun die Mannschaftsgröße keine Auswirkungen auf die Platzierung in dieser "5-Besten"-Meisterschaft hätte, dürften die Punkte in diesem Diagramm keine Tendenz anzeigen, ihre Trendlinie müßte waagerecht verlaufen.

Es ist jedoch bereits mit bloßem Auge deutlich zu erkennen, dass sich die Punkte von "links oben" nach "rechts unten" bewegen. Diese Tendenz bedeutet ganz konkret: je größer hier eine Mannschaft ist, desto besser ist sie im Schnitt auch in der aktuellen "5-Besten" Regionalverbands-Meisterschaft platziert!
(Der Trendlinie zufolge bedeutet eine um ein Tier größere Mannschaft im Schnitt etwa eine um zwei Plätze bessere Platzierung in dieser Meisterschaft (2 x 0,49 = ca 1))

Da wir aber in Abbildung 1 gesehen haben, dass über die hier betrachteten Schläge nicht behauptet werden kann, dass die größeren Mannschaften auch die besseren Reiseleistungen erzielten und somit sportlich überlegen gewesen wären, bedeutet dies in der direkten Konsequenz: Die besseren Platzierungen der Schläge mit größeren Mannschaften gehen hier im Schnitt NICHT auf eine bessere sportliche Leistung zurück, sondern allein auf die größere Mannschaft!

Natürlich finden wir auch hier Einzelschläge, die sich trotz kleinerer Mannschaft sehr gut platzieren konnten, doch zeigt die eindeutige Tendenz in Abbildung 2, dass diese "Ausreißer" absolut nicht dazu geeignet sind, zu behaupten, große Bestände hätten keinen systematischen Vorteil bei den "x-besten"-Meisterschaftsmodi.
Im Gegenteil: Betrachten wir beispielsweise den Viertplatzierten im Regionalverband, so erbrachte er mit 59% die mit Abstand höchste Reiseleistung der hier betrachteten Schläge auf den Regionalflügen, hatte aber aufgrund seiner geringen Mannschaftsgröße von nur 22 Tauben dennoch keine Chance den verdienten ersten Platz zu belegen, denn die vor ihm Platzierten brachten 61, 96 und 65 Tiere an den Start. Es hat somit hier noch nicht einmal der Beste gewonnen, und eine Änderung des Meisterschaftsmodus beispielsweise in einen Modus, bei dem die Satzzahl in Anrechnung gebracht würde, hätte diese Liste der Sieger deutlich verändert!

Noch deutlicher wird der systematische Vorteil einer großen Satzzahl bei den "x-beste-Modi", wenn wir die mittlere Mannschaftsgröße der  Plätze 1 bis 10, 11 bis 20, 21 bis 30, und so fort in ein Diagramm eintragen (Abbildung 3), da hierdurch die Streuung des Einzelfalles nicht mehr so stark ins Gewicht fällt, aber die Tendenz durch diese Mittelung von jeweils zehn platzierten Schlägen nicht verfälscht wird:


Wenn wir uns nun noch die absoluten Zahlen der Mannschaftsgrößen dieser bestplatzierten 8,4% des Regionalverbandes anschauen und sie mit dem Mittel aller Züchter im Regionalverband vergleichen, sollte hoffentlich auch der letzte Verfechter dieser Modi eingestehen müssen, wie deutlich sich der systematische Vorteil einer größeren Mannschaft auf die Platzierung auswirkt.

Im Regionalverband traten 18.179 Tauben von 630 Schlägen gegeneinander an, somit betrug die mittlere Mannschaftsgröße über alle Schläge nur 28,9 Tauben. Die mittlere Mannschaftsgröße der hier betrachteten bestplatzierten Schläge betrug hingegen 54,2 Tauben, war also fast doppelt so groß!

Nur ganze 6 Züchter mit weniger als diesen 28,9 Tauben schafften es unter die besten 53, ein weiterer Züchter hatte genau 29 Tauben in der Mannschaft aber 46 Züchter der 53 Bestplatzierten lagen mit ihren Mannschaften (meist sogar deutlich) über der mittleren Größe der Mannschaften im Regionalverband.

Ich hoffe es wird nun niemand ernsthaft behaupten wollen, dass es in der Gruppe der Züchter mit Mannschaften von 20 bis 30 Tauben, die einen großen Anteil der 630 Züchter in diesem Regionalverband stellen, halt nur sieben Züchter existieren, die wirklich gut sind! Es gewinnt hier die Größe über die sportliche Leistung und dieser Zusammenhang ist eindeutig, er ist bedeutend und er ist NICHT wegzudiskutieren!

Und natürlich wissen die Züchter schon längst um all diese Zusammenhänge, denn genau dies stellte eben den wesentlichen Motor dar, der zum Wachstum der Bestände in den letzten dreißig Jahren geführt hat! Jeder motivierte Züchter wird in einem System, in dem solche Meisterschaften existieren, irgendwann mit der Frage konfrontiert, ob er realistische Chancen auf die vorderen Plätze haben will und deshalb seinen Bestand aufstocken muß, oder nicht!

Ein Züchter hat also in einem System wo "x-beste-Modi" den Ton angeben gar keine freie Wahl seiner Bestandsgröße! Und wenn er äußeren Restriktionen unterworfen ist, die eine Ausweitung seines Bestandes verhindern, könnte er noch nicht einmal eine Bestandsvergrößerung vornehmen, selbst wenn er es wollte! Er müßte also seine systematische Benachteiligung akzeptieren, seinen Traum einer Top-Platzierung begraben oder sich eben von diesem Hobby abwenden (bzw. erst gar nicht beginnen!).

# JEDE Organisation, egal ob RV, FG oder RegV, die "x-beste-Modi" für ihre wichtigen Auszeichnungen und Meisterschaften beibehält, setzt einen starken Anreiz zu größeren Beständen!

# JEDE dieser Organisationen handelt sportlich unfair gegenüber den Züchtern, die gerne einen kleineren Bestand halten möchten oder gar keinen größeren Bestand halten können, da diesen systematisch schlechtere Chancen eingeräumt werden, die sich nicht an der wahren sportlichen Leistung orientieren. Unter diesen Modi gewinnt eben NICHT immer der bessere, sondern manchmal auch einfach nur der Größere!

# JEDE Organisation könnte selbsttätig, ohne dass der Verband hier in der Verantwortung stünde, handeln und die Situation durch ABSCHAFFUNG aller dieser Modi verbessern. Jede Versammlung bietet dazu eine Gelegenheit. Und sollten manche Anträge an die MV in diesem Jahr durchgehen, so müßten vor Beginn der neuen Saison ohnehin auf RegV-Ebene Meisterschaften beschlossen werden (siehe RegV-Meisterschaft des Verbandes, Antrag IV (7)). Alternativen zu den "x-beste-Modi" gibt es genug, von satzzahlabhängigen Zählersystemen, über eine Begrenzung der Tauben die nur als Zähler in Frage kommen, bis hin zu Vorbenannten-Meisterschaften.


Natürlich rettet die Abschaffung der "x-beste-Modi" alleine nicht den deutschen Taubensport. Sie stellt jedoch einen wichtigen Mosaikstein zur Verbesserung der Situation dar, damit auch kleine Bestände nicht länger systematisch benachteiligt werden, und es sich somit wieder lohnt auch Taubensport im kleinen Rahmen zu betreiben mit der Perspektive auf Top-Platzierungen. Denn Taubensport ist auch Wettbewerb. Wem es nur um die Taubenhaltung geht, könnte ja sonst ebenso gut auch Rassetauben halten (es sei an dieser Stelle beiläufig erwähnt, dass die Zahl der Rassetaubenzüchter über viele der letzten dreißig Jahren angestiegen ist und nun auf hohem Niveau derzeit deutlich langsamer schrumpft als die der Brieftaubenzüchter).

In einem zweiten Teil zu diesem Thema werde ich in Kürze über die konkrete Auswirkung der Meisterschaften und ihrer Änderung auf RV Ebene schreiben.

2 Kommentare:

  1. Hallo Meinolf
    Das ist ein hervoragender Beitrag.Endlich mal ein fundierter Beitrag den aber auch wirklich der Dümmste verstehen kann.So ein Beitrag müßte regulär von der BT-Zeitung veröffentlicht werden.
    Aber die sind ja froh wenn die Leute dumm bleiben.

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  2. Guten Tag,
    dies ist die bisher beste Darstellung zur Ungerechtigkeit im deutschen Brieftaubensport. Wenn immer behauptet wird, man kann sich keine Platzierung kaufen, so ist das falsch!!! Durch große Satzzahlen und mittelmäßigem Fliegen werden hier Meisterschaften erkauft. Das gibt es in keinem anderen Bereich. Das schlimme hierbei ist es noch, dass die Mehrheit der Züchter, die ja nur kleine Bestände hält, hier auch noch dafür ist, weil die Reisekosten so vermeintlich sinken. Es wird eben nur auf den eigenen Vorteil geschaut, also geringe Reisekosten und alles andere ist egal. Wie im täglichen Leben. Da wird auch beim Einkauf nur auf den vermeintlich günstigen Preis geschaut ohne nachzudenken, was damit langfristig verbunden ist. Der Mensch ist eben so und wir haben keine anderen. Gruß

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