Freitag, 17. Oktober 2008

Taubensport in Deutschland. Zukunftskonzept (Teil 2)

Die Befragungen (siehe Analyse Teil 1) haben gezeigt, dass Streit und fehlende Geselligkeit unter Züchtern zu den Hauptproblemen für den Taubensport gezählt werden. Die Hauptursachen für diese Unruhe zwischen den Züchtern sind Themen die direkt mit dem Reisegeschehen zu tun haben: Reiserichtungsentscheidungen, Auflassentscheidungen, Diskussionen über Vor und Nachteile der geografischen Lage und über Reisepläne.

Natürlich sind all dies sehr "konfliktschwangere" Themen, doch die Frage bleibt: Kann man hier durch strukturelle Veränderungen helfen, Konflikte zu vermeiden?
Ich bin der Meinung: Eindeutig ja! Das Zauberwort heißt Eigenverantwortung.



Mehr Eigenverantwortung

Ein typischer Züchter, der in den heutigen Strukturen seine Tauben in einer RV schickt, unterliegt vielen Zwängen: Zum einen geben der Verband und der RegV durch Meisterschaftsmodi ohne Streichergebnisse und letztendlich die RV durch ihren Reiseplan vor, dass wöchentlich Flüge abgehalten werden, welche Entfernungen diese Flüge haben müssen, und in welche Richtung die Tauben geschickt werden.

Zum anderen kann der Züchter nahezu jede wichtige Meisterschaft nur erreichen, wenn er allwöchentlich an den Flügen dieser RV teilnimmt. Daher ist ein Züchter heute nicht wirklich frei in seiner Entscheidung seine Tauben auf einen Wettflug zu setzen, oder auch nicht, denn er riskiert in den meisten Meisterschaften die Früchte der gesamten Saison zu verlieren. Aus diesem wichtigen Grund empfinden sich die Züchter umso stärker gezwungen/betrogen/geschädigt, wenn Flüge nicht optimal verlaufen.

Kommt es zu einem sehr harten Flug, obwohl für dieses Wochenende schon zuvor kein ideales Wetter gemeldet war, ist der Auflassleiter Schuld. Weht ein sehr starker Westwind, der den Züchtern im Westen des RegV kaum Chancen läßt, ist die Blöde große Fluggemeinschaft Schuld. Dauert bei einem 200 km Mitwindflug der Konkurs nur 4 Minuten, sind zu viele von diesen blöden kurzen Touren im Reiseplan. Zieht sich der Konkurs bei einem 600km Flug über zwei Stunden hin, oder es bleiben gegebenenfalls dabei einzelne Tiere aus, sind zu viele lange Touren im Reiseplan. Fällt der notwendige 600er genau auf ein Hitzewochenende ist der feste Termin im Reiseplan Schuld. Im übrigen ist natürlich immer auch der Verband unter den genannten Schuldigen zu finden! Es gibt genug Gründe für Streit während einer Saison.

Dabei könnten zwei wichtige Paradigmenwechsel hier wesentlich zur Entschärfung der Konflikte beitragen:

1.) Jeder Züchter darf in jeder RV (bei jedem Klub) seiner Umgebung schicken, wo er will. Wenn gewollt, auch in mehreren RVen an einem Wochenende gleichzeitig. Für alle Meisterschaften jenseits der RV-Ebene (Klub-Ebene) dürfen die Züchter alle errungenen Ergebnisse aller Flugveranstalter in die Wertung bringen, welche zu definierenden Mindestanforderungen an Züchterzahl und maximaler geografischer Ausdehnung des Preislistengebietes erfüllen (siehe unten).

2.) Es müssen bei den Hauptmeisterschaften auf allen Ebenen Streichergebnisse in den Modi vorgesehen werden, so dass der heutige Zwang, jede Woche einen Flug mitmachen zu müssen, nicht mehr bestehen bleibt.

Nun hat der einzelne Züchter die Wahl, ob er den einen oder anderen Flug eventuell aussetzen möchte, da ihm das Wetter an dem gewissen Wochenende nicht geheuer ist. Setzt er dennoch, ist es seine Entscheidung und seine Verantwortung. Sein Angriff gegenüber der Auflassleitung wird milder ausfallen müssen, da er sich seiner Mitverantwortung bewußter ist. Und wenn es ihm stinkt, dann schickt er halt mal ein paar Flüge mit einem anderen Klub.

Gefällt einem Züchter der Reiseplan der eigenen RV nicht, so kann er selbst durch Nutzung von Flügen anderer Klubs seinen "eigenen" Reiseplan erstellen. Er kann so ein Reiseprogramm für seine Tauben definieren, dass seinem Gusto am nächsten kommt. Wer auf 600er verzichten möchte, schickt an dem betreffenden Wochenende eben den 400er der Nachbar-RV, wer gerne häufiger über 600 km schickt, sucht sich eben ein paar solcher Flüge in seiner Umgebung zusammen. Wer mit Süd-Osten nicht zufrieden ist, geht eben zu einem Flugveranstalter, der Südwesten anbietet.

Die Folgen dieser Paradigmenwechsel kann man sich aus dem Blickwinkel des heutigen Systems heraus vielleicht nur schwer vorstellen, doch eines ist direkt erkennbar: Durch die deutlich höhere Eigenverantwortlichkeit eines jeden Züchters für sein persönliches Reiseprogramm würden einige der genannten zentralen Konfliktpunkte entschärft werden. Zudem würden durch die direkte Wettbewerbssituation der unterschiedlichen RVen und Klubs untereinander alle diese Anbieter versuchen, attraktiver zu sein, als die Anbieter in ihrer Nachbarschaft. Sei es durch attraktive interne Meisterschaftsmodi, sei es durch ein angenehmeres Umfeld, wie z.B. Grillen und Bierstube.

Hier ist manches denkbar. Die Anbieter mit guten "Leistungen" gewinnen Teilnehmer hinzu, die schlechteren verlieren Teilnehmer und müssen sich mehr anstrengen, oder sie verschwinden von der Bildfläche.

Durch attraktive interne Meisterschaften kann der jeweilige Veranstalter versuchen, die einzelnen Züchter regelmässig an sich zu binden. Eine Steigerung der Attraktivität des Angebotes wäre insgesamt die Folge. Und auch das könnte vorteilhaft für die Entwicklung des Taubensportes sein.



An die Kritiker
Kritiker mögen einwenden, dass es in einzelnen Gegenden Deutschlands schon heute kaum noch möglich ist, eine einzige RV auf die Beine zu stellen, und dass es daher dort wohl kaum zu den besprochenen Wahlmöglichkeiten kommen wird. Nun in allen Gegenden, wo auch heute bereits Züchter am Ende der Saison die RV verlassen und in eine Nachbar-RV wechseln, bestünden offensichtlich Wahlmöglichkeiten. Wenn es in manchen Gegenden jedoch derzeit keine Wahlmöglichkeiten gibt, heißt das nicht, dass sich keine Wahlmöglichkeiten entwickeln würden, sofern hier die "Wahlfreiheit" einkehren würde. Zwang lähmt, und Freiheit weckt ungeahnte Kräfte, dies ist keine neue Erkenntnis. Und wenn dann dennoch Gegenden übrig bleiben, in denen sich keine Wahlmöglichkeiten ergeben, dann ist das eben so. Gegen die geringe Züchterdichte in diesen Gegenden kann kein Konzept direkt etwas ausrichten und hier ein Allheilmittel sein! Diese Tatsache darf jedoch kein Alibi für Stillstand sein.

Ein weiterer Einwand mag sein, dass unter dem "Wettbewerbsdruck" einzelne RVen eventuell ganz zusammenbrechen würden, weil sie eventuell auch noch ihre letzten Züchter verlören. Wenn dem dann so ist, dann war diese RV nicht attraktiv genug. Es macht auf Dauer keinen Sinn eine unattraktive RV durch Zwänge künstlich am Leben zu erhalten. Züchter die dann unzufrieden sind, hören eben ganz mit dem Taubensport auf, aber bleiben dieser "unattraktiven" RV nicht erhalten.

Ein "Zusammenbruch" einer RV aus Kostengründen müßte ebenfalls nicht erfolgen, wenn (wie in "Zukunftskonzept Teil 1" vorgeschlagen) die RVen keinen eigenen Kabi mehr unterhalten, sondern nur noch Kabi-Kapazitäten bei einer übergreifenden Transportorganisation buchen.


Zusätzliche positive Effekte
Neben der Verminderung von Streitigkeiten durch die Stärkung der Entscheidungsfreiheit und der Eigenverantwortung jedes einzelnen Züchters und der Erhöhung der Attraktivität des Angebotes, böten diese beiden Paradigmenwechsel zusätzliche, positive Effekte, die weitere bereits genannte aktuelle Probleme des Taubensportes entschärfen würden.

Allem voran ist hier die enorme Flexibilität zu nennen, die ein Züchter dadurch erlangen würde. Er könnte beispielsweise einmal zwei Wochenenden aussetzen, um Urlaub mit der Familie zu machen und anschließend noch zwei nötige 400er Ergebnisse für die RegV Mittelstreckenmeisterschaft an einem Wochenende bei zwei Veranstaltern nachholen. Ein wichtiges Hemmnis insbesondere für die jüngere Züchterschaft könnte so beseitigt werden. Schließlich hat grob 1/3tel der befragten Züchter Probleme mit den terminlichen Zwängen des heutigen Reisesystems!

Auch Tierschutzaspekten könnte eher Rechnung getragen werden, wenn der einzelne Züchter freier als bisher über einen Einsatz der Tiere entscheidet, je nach Wetter oder Form der Tiere, und welche Entfernungen er seinen Tauben zumuten möchte, weil er sie eben am besten kennt.

Durch die "Sammeltransporte" der übergeordneten Transportorganisation käme es zudem zu einem geordeteren Auflassgeschehen an den Wochenenden, als heutzutage. Beispielsweise könnte ein Transport nach Würzburg Tauben von Klubs von Münster bis Gießen mitnehmen. Die einen nutzen ihn als 150km Flug, die anderen als 300km Flug. Doch letztendlich befindet sich hinter den verschiedenen Preislisten der einzelnen Anbieter ein gemeinsamer Auflass, der leicht mit den anderen Sammelauflässen am Wochenende zu koordinieren wäre und der aufgrund der erhöhten Taubenzahl gute Trainings- und Selektionskriterien an die Tauben stellt, auch wenn die Preisliste des einzelnen Veranstalters hinterher eventuell nur wenige hundert Tiere/dutzend Züchter umfasst.


Einschränkungen
Klar ist, dass in einem solchen System von Freiheit dennoch Standards für die Gültigkeit von Preislisten definiert werden müssen. Es sollten insbesondere auch Grenzen der maximalen geografischen Ausdehnung einer Preisliste definiert werden, da ein sehr großes Preislistengebiet ansonsten zu witterungsabhängig wäre, und die Ergebnisse dadurch zu sehr verzerrt würden (siehe hierzu auch den Beitrag "Lage und Wind" im Blog).
Anzumerken ist hierbei, dass die heutige Situation, in der die Zulassung von Preislisten ausschließlich an Mindesttaubenzahlen und Züchterzahlen festgemacht wird, bei zu hohen Zulassungsgrenzen sehr kontraproduktiv ist. Denn dadurch werden in züchterarmen Gegenden die Züchter aus einem zu großflächigen Gebiet in eine Preisliste gezwungen, welche dann aufgrund ihrer Witterungsabhängigkeit sportlich kaum noch zu rechtfertigen ist. Einer Begrenzung der "geografischen Ausdehnung" einer Preisliste ist aus sportlicher Sicht eine höhere Priorität einzuräumen, als der Mindestzüchterzahl oder Mindesttaubenzahl.

Darüber hinaus ist es so, dass sowohl die RegVs, als auch der Verband durch die Definition ihrer einzelnen übergeordneten Meisterschaften wichtige Steuerungselemente in der Hand behalten würden, trotz aller Freiheiten der Züchter. So könnte zum Beispiel durch Meisterschaftsbedingungen, bei denen Flüge verschiedener Klubs am selben Tag nur dann als unterschiedliche Flüge gezählt würden, wenn sie unterschiedliche Auflassorte hätten, gezielt ein unkontrolliertes und beliebiges "Verdoppeln" eines Fluges von einem Auflassort durch Nutzung verschiedener Anbieter verhindert werden. Auch könnte beispielsweise durch einen Modus für eine Allround-Meisterschaft ein Anreiz gesetzt werden, weiterhin möglichst alle Entfernungen zu beschicken.

Dennoch: Mehr Wahlfreiheit und Eigenverantwortung für die Züchter wäre ein Schlüssel zur Konfliktvermeidung, zur terminlichen Flexibilisierung und zur Steigerung der Attraktivität des Flugangebotes, und damit ein wichtiger Schritt in Richtung Erhalt des Brieftaubensportes.

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