Da habe ich noch in meinem letzten Blog die Beitragsqualität der Zeitschrift "Die Brieftaube" gescholten, und dann lese ich heute in der 49/08 wiederum einen Beitrag zum Thema Zucht und noch dazu einen, wie ich finde sehr guten. Die Überschrift des Artikel lautet "Männergespräche" und gibt im wesentlichen ein Gespräch der Autorin mit den zwei Züchter-Ikonen Harry Tamsen und Günter Prange wieder.
Ich finde den Artikel sehr gut, weil er die Erfahrungen zweier sehr erfahrener Züchter zum Thema Zucht wiedergibt, und dabei einige sehr hilfreiche Schlüsse gezogen werden. Und dazu gibt der Artikel ein hervorragendes Beispiel dafür ab, wie wir Informationen, die wir von Spitzenzüchtern, Taubenexperten, Zuchtexperten, Blog-Schreibern :-) oder wem auch immer erhalten, bewerten sollten: Neugierig, offen, doch immer auch kritisch! (wie gesagt, das gilt im selben Umfange auch für meine Blogbeiträge, lieber Leser!)
Harry Tamsen hat in dem Artikel Manches, sehr wahres gesagt, wie ich finde:
1. Wenn man Durchschnittstauben mit sehr guten Tauben verpaart, kommt dennoch nie etwas sehr gutes dabei heraus!
2. Schwarmfliegen welches Tauben durch Auflass in kleineren lokalen Gruppen lernen, mag Verluste minimieren, ist aber auf Dauer der Anforderung, dass sich unsere Tauben vom Schwarm trennen müssen, nicht förderlich. In der Konsequenz sind also Auflässe in größeren Verbunden anzustreben.
3. Häufiges Umpaaren hilft beim identifizieren der "vererbungsstarken" Tauben. Und nur mit diesen sollte man bevorzugt weiterarbeiten.
Darüber hinaus war ich aber insbesondere von Günter Prange beeindruckt. Allem voran, weil er sich mit seinen Aussagen zurückgehalten hat, selbst wenn manche Aussage von Harry Tamsen an der einen oder anderen Stelle geradezu zum Widerspruch eingeladen hat. Doch was er gesagt hat, hatte Gewicht. Insbesondere, finde ich, ist seine Äußerung hervorzuheben, dass der Charakter eine extrem wichtige und im übrigen vererbliche Eigenschaft von Tauben ist, die bei der Selektion Berücksichtigung finden muss, denn er macht die wirklich gute Taube aus. Ich für meinen Teil fasse unter diesem Begriff solche Dinge wie Neugierigkeit, Lernfähigkeit, Revierverhalten und Brutverhalten zusammen. Mit dem Wort "Dickköpfigkeit", dass Harry Tamsen an dieser Stelle ins Spiel brachte, kann ich persönlich jedoch nicht so viel anfangen, da ich es schwer finde Dickköpfigkeit und mangelndes Lernvermögen sauber zu trennen. Auch weitere Hinweise von Günter Prange fand ich sehr wertvoll, wie z.B. dass man seinen Bestand nicht aufblähen sollte, damit man nicht den Überblick, das Zuchtziel aus den Augen verliert und dass Geduld sehr wichtig ist und dass vieles auch bei ihm einfach nur Glück war.
Kritikfähigkeit erhalten
Aber wie bereits erwähnt, der Artikel ist auch deshalb sehr gut, weil er deutlich zeigt, dass wir die Informationen, die wir über unseren Sport von Anderen erhalten, immer kritisch prüfen müssen, selbst wenn diese von solchen Züchter-Ikonen stammen.
Konkret:
Harry Tamsen ist sehr generalisierend in manchen Aussagen, seine lange Erfahrung, wohl auch seine Erfolge mögen ein Anlass dafür sein. Aber sicher auch, da dass Gehirn des Menschen immer froh ist, wenn es Muster im Chaos erkennt, an die es sich halten kann. Und wenn ein Muster für uns plausibel ist, so stellt es für uns die "Realität" dar unter die wir vieles Einordnen, selbst wenn das nicht immer logisch und dadurch in der Folge auch nicht immer richtig ist.
So ist die erste Aussage Harry Tamsens, dass Durchschnittstauben mit sehr guten Tauben verpaart praktisch nie etwas sehr gutes ergeben, sicher aufgrund seiner Erfahrungen und Beobachtungen vieler Züchter entstanden, die er im Laufe der Jahrzehnte kennenlernte, und ist daher wertvoll. Doch ist seine Begründung, dass dieser Effekt wohl maßgeblich an der Inzucht schlechter Tauben liegt, die viele Züchter betreiben, ist nicht schlüssig. Es könnte ein Grund sein, wenn es so wäre, dass viele schlechte Züchter zu lange Inzucht im "eigenen Sud" betreiben würden. Doch müßten dann schon erhebliche Inzuchtgrade bei diesen Züchtern erreicht sein, damit diese Begründung greift. Aber tatsächlich versuchen doch auch die Erfolglosen immer wieder Neues einzuführen, nur eben erfolglos.
Dabei bietet die Populationsgenetik ein sehr gutes Erklärungsmodell für Tamsens Beobachtung und noch dazu ein wissenschaftlich belegtes! Bei den Leistungseigenschaften handelt es sich im wesentlichen um quantitative Eigenschaften, die durch ein Ansammeln von möglichst vielen guten Genen (fast immer sind dies rezessiv vererbte Allele [Allel <-> Bezeichnung einer Genvariante] ) gesteigert werden können (siehe hierzu auch frühere Blogartikel dieser Reihe). Ein rezessives Allel kommt nur zur Wirkung, wenn es reinerbig, also auf jedem der beiden Chromosomen eines Chromosomenpaares auftritt.
Der zerstörerische Einfluß des Mittelmaßes
Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Allel reinerbig (homozygot) in einer Population auftritt, hängt natürlich von der Häufigkeit dieses Allels in dieser Population ab, in der ich Paarungen zusammenstelle. Wenn die Population gut gemischt und groß genug ist, kann man den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit eines Allels und seiner Reinerbigkeit berechnen. Diese Berechnungsformel haben wir den Forschern Hardy und Weinberger zu verdanken. Und selbst wenn unsere Population nicht so pefekt gemischt ist, und relativ klein, gibt uns das Ergebnis dieser Berechnung dennoch einen guten Eindruck davon, wo hier das Grundproblem liegt:
Die rote Kurve zeigt, welcher Prozentsatz an Tieren ein Merkmal sichtbar zeigt, wenn wir ein einziges rezessives Allel betrachten. Wenn z.B. 50% aller Tiere dieses Allel in sich tragen, haben wahrscheinlich 25% aller Tiere dieses Allel reinerbig vorliegen und zeigen somit die zugehörige Eigenschaft. Erst bei über 70% Häufigkeit dieses Allels im Bestand zeigt wenigstens die Hälfte aller Tiere diese Eigenschaft.
Doch wir haben es ja mit vielen rezessiven Allelen zu tun, die eine Eigenschaft wie z.B. eine hohe Fluggeschwindigkeit bestimmen. Und wären es nur 10 Allele, die maßgebend für die besondere Qualität einer As-Taube wären, und diese 10 säßen auf 10 verschiedenen Chromosomen, so dass sie nicht "am Stück" vererbt würden, sondern unabhängig von einander, so folgt die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Tier alle Gene "wirken" können dem blaue Kurvenverlauf in der Grafik. Und der ist bemerkenswert!
Er zeigt, dass wir unter diesen, noch nicht einmal besonders schweren Rahmenbedingungen (es sind nämlich sicher mehr als nur 10 Gene für eine As-Taube verantwortlich) eine Wahrscheinlichkeit von nur 0,1% haben nochmals so eine As-Taube zu züchten, selbst wenn alle Tauben in der Population alle diese wichtigen Gene mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% in sich tragen!! Selbst wenn bereits 70% aller Tauben diese wichtigen Gene tragen, lägen unsere Chancen auf eine As-Taube dieser Art bei gerade mal 2,8%. Hierdurch wird also sehr drastisch verdeutlicht, wie stark bereits eine nur geringe Verwässerung von sehr guten Erbanlagen in einem Bestand unsere Chancen auf guten Nachwuchs herabsetzen. Und genau deshalb darf man nur sehr sehr gute Ausgangstiere zur Zucht einsetzen und genau deshalb führt ein Einführen von Spitzentauben in eine Gruppe von mittelmäßigen Tauben praktisch nie zum Erfolg! Harry Tamsen hat absolut recht, nur aus einem ganz anderen Grund als er hier anführte.
Jährige Tauben und das Umpaaren
Eine andere, auch immer wieder zu lesende These ist es, dass aus jährigen Tauben besser gezogen wird, als aus älteren. In der mutigen Formulierung von Harry Tamsen wird hieraus sogar, dass bei den Spitzentauben eines Schlages mindestens ein Elterntier jährig war und dass die Eltern (Zitat) "nie" ähnlich gute Geschwister gebracht haben. Nun auch hier schlägt die Freude über eine durch Beobachtung gemachte Erfahrung Harry Tamsen wohl ein Schnippchen. Diese Beobachtung wird nicht nur zur Regel erhoben, sondern gilt schon gleich ausschließlich.
Als kritischer Taubenzüchter und Leser sollte man hier die Züchter-Ikone einfach ausblenden, und seinen Abstammungsordner aus dem Schrank holen:
Die Eltern des Rambo, einem Reise-As von van Dyck waren 4 und 5-jährig. Der Rambo brachte mit Het Laatje sowohl den Kannibaal als auch den Bourges. Beides Reise und Zucht-Asse. Hier waren die Eltern 2- und 5-jährig!
Der Stammvogel bei Joop Koch, der "Lichte Orleans" wurde 6.nat. As-Taube, sein Vater war 9-jährig, seine Mutter 2-jährig. Er selbst zog mit der "Dochter Belg" in fester Paarung über mehrere Jahre eine 1.nat As-Taube Kurzstrecke, eine 3. nat. As-Taube Mittelstrecke und eine 9.nat. As-Taube Mittelstrecke.
Die Eltern der Fieneke von Vervoort waren 4- und 3-jährig. Sie brachten aber auch noch die B-98-800, die bei Körner in Deutschland zu einer Topzuchttaube wurde.
König und Königin bei Andreas Drapa waren 4- und 5-jährig, als sie den 638 brachten, der 2002 1.As-Vogel in Deutschland wurde und sie waren schon 6- und 7-jährig, als sie mit dem 1020 einen weiteren 1.As-Vogel und Olympiasieger brachten.
Die Eltern des Figo von Reynaert waren bereits 7- und 4-jährig, doch brachten sie schon 5- und 2-jährig den Keizer, der ebenfalls 1.provinzielle As-Taube wurde und 14x1. Preise flog. Zudem brachten sie einige weitere Top-Zuchttauben, wie z.B. den "Kleine Figo" bei Bosua.
Die Autokoppel bei Bosua besteht aus zwei Tauben, die ebenfalls aus 6-,6-,5- und einer 4-jährigen gezogen wurden. Dieses Zuchtpaar brachte mehrere As-Tauben, wovon einige wie z.B. die Witkopje (bestes Jungtier NL) gezüchtet wurde, als die Eltern jeweils 5-jährig waren.
Ich will an dieser Stelle aufhören, sonst wird es langweilig, doch es ließe sich noch beliebig lange fortführen, wie jeder anhand von Abstammung berühmter Tauben selber nachvollziehen kann! Wie kann es also selbst bei einem so erfahrenen Züchter zu einer solchen Fehleinschätzung kommen? Nun ich glaube, so etwas passiert immer dann, wenn man sich statistische Effekte nicht bewußt macht. Im vorliegenden Falle: Fast alle Bestände haben einen großen Anteil an jährigen Tauben (oft die Hälte eines Bestandes). Daher ist es auch so, dass an sehr vielen Paarungen jährige Tauben beteiligt sind! Sie geraten also statistisch in Vorteil. Um sich ein Urteil zu bilden, muß man also nicht die Zahl der guten Tauben aus Paarungen mit jährigen Tauben beurteilen, sondern die Zahl solcher Tauben zunächst ins Verhältnis mit der Anzahl solcher Paarungen setzen. Und erst dann darf man diesen Quotienten mit dem entsprechenden Quotienten der Vergleichsgruppe vergleichen! Und wenn die jährigen Tauben eines Schlages nicht durch eine bessere Gesundheit im Vorteil sind, was bei einem durchweg gesunden Bestand nicht der Fall sein sollte, ist ganz klar zu erwarten, dass alle Altersgruppen in etwa gleich gut abschneiden, denn die Erbgesetze sind nicht altersabhängig (abgesehen von sehr , sehr seltenen Umwelteinflüssen auf das Erbgut, wie z.B. Mutationen oder Epigenetische Effekte)!
Und auch das seltene Auftreten von zwei Assen aus einem Paar ist doch wohl eher ein statistischer Effekt. Es ist eben schon selten, ein As aus einem Paar zu ziehen. Es ist noch einmal genauso selten, wenn ich ein zweites As aus dem selben Paar ziehe. Durch Umpaaren steigere ich aber diese Chancen nicht. Dies sagt uns die Populationsgenetik! Das Umpaaren ist davon abgesehen dennoch zur Identifizierung eines dominanten Vererbers sehr sinnvoll. Und hier würde ich Tamsen wiederum zustimmen.
Geschlechter vergessen!
An einer anderen Stelle verhaut es Harry Tamsen dann so richtig. Nämlich als er den weiblichen Nachkommen eines Vogels und den männlichen Nachkommen eines Weibchens unterstellt, sie würden jeweils 75% der Erbeigenschaften des jeweiligen Elterntieres führen. Natürlich ist das absoluter Blödsinn! Von den 40 Chromosomenpaaren des Tauben-Nachwuchses sind immer 40 Chromosomenstränge vom Vater und 40 Stränge von der Mutter.
Es zeigt aber sehr drastisch, wie sehr auch sehr gute und sehr erfahrene Taubenzüchter durch die einschläge Taubenliteratur und Überlieferungen zum Thema Zucht geprägt werden können. Immer wieder werden wissenschaftlich nicht haltbare Aussagen getätigt, die die Leistungseigenschaften bei Tauben im wesentlichen als geschlechtsgebunden vererbte ansehen (siehe auch meinen letzten Blogartikel).
Es gibt aber sogar einige Indizien dafür, dass die wesentlichen Leistungseigenschaften von Tauben NICHT geschlechtsgebunden vererbt werden! Wie ich zu dieser mutigen Aussage komme? Nun, mit "geschlechtsgebunden" ist ja gemeint, dass die Gene dieser Eigenschaften nur auf dem Z-Chromosom (davon trägt ein Vogel zwei, ein Weibchen eines) oder nur auf dem W-Chromosom (davon trägt einzig das Weibchen eines) vorkommen. Wenn es rezessive Eigenschaften wären, könnten diese Eigenschaften bei Vögeln nur Wirkung zeigen, wenn sie reinerbig vorliegt. Weibchen hingegen haben ja immer nur ein Z-Chromosom. Es kann also hier auch ein rezessives Merkmal welches auf diesem Chromosom liegt ausgeprägt werden, da ja der "Gegenpart" auf einem zweiten Z-Chromosom fehlt. In der Konsequenz hat dies Folgen auf die Häufigkeit, mit der so ein Merkmal zu tage tritt, es müßte sich nämlich bei Weibchen häufiger durchsetzen. Wenn nun wesentliche Leistungseigenschaften, welche rezessiver Natur sind, geschlechtsgebunden vererbt würden, müßten die Weibchen den Vögeln im Durchschnitt überlegen sein. Vergleicht man aber die AS-Punktzahlen der Bundes-AS-Tauben der letzten Jahre, so erkennt man jedoch, dass hier kein Unterschied in der Leistungsfähigkeit festzustellen ist!
Wenn aber nun wesentliche Leistungseigenschaften dominant und geschlechtsgebunden vererbt würden (es braucht also nur ein Z-Chromosom oder nur das W-Chromosom Träger des Allels zu sein), würden sich diese dominanten Eigenschaften bei der leistungsbezogenen Selektion der Brieftauben bereits seit Jahrhunderten unterliegen bereits so stark durchgesetzt haben, dass nur noch sehr selten Brieftauben auftauchen sollten, die dieses Allel nicht besitzen. Denn jeder Nachkomme, der so ein Allel nicht besitzt, fällt ja direkt durch geringere Leistung auf und kann selektiert werden.
Die Sache mit den 75%
Durch Inzucht ist es jedoch sehr wohl möglich Tauben zu züchten, die 75% des Erbgutes ihrer Ahnen gesichert auf die Nachkommen übertragen. Dies ist nämlich bei einem Inzuchtkoeffizienten von 50% des jeweiligen Zuchttieres der Fall (siehe auch ältere Blogbeiträge zu diesem Thema)! Ihm müßte jedoch eine mehrfache extreme Inzucht vorausgegangen sein. So erreicht man diesen Inzuchtkoeffizienten zum Beispiel, wenn in drei aufeinander folgenden Generationen Voll-Geschwisterpaarungen vollzogen wurden. Diese Tiere enthalten dann konzentriert einen Genmix ihrer Ur-Eltern (also Ur-Vater und Ur-Mutter).
Ebenso stark könnte man die Gene dieser beiden Ur-Eltern konzentrieren, wenn man grob sechs Generationen hintereinander Halbgeschwisterpaarungen vollzieht, bei denen immer auf diese gemeinsamen Ur-Eltern in Linie gepaart würde. Dazu benötigt man 7 Halbgeschwister (1 von einem Geschlecht [auf seine Eltern hin, wird sich die Inzucht konzentrieren] und 6 vom anderen Geschlecht[pro Inzucht-Generation eins]) Diese 7 Halbgeschwister müßten also jeweils verschiedene Elterngegenstücke haben, sonst würde auch das Erbgut des zusätzlich mehrfach vorkommenden Ahnen "aufkonzentriert".
Und als dritte Alternative könnte eine grob 10fach wiederholte Rückpaarung von Kindern an ein und dasselbe Elterntier die Gene dieses einzelnen Elterntieres vergleichbar aufkonzentrieren. Ich bezweifle jedoch sehr stark, dass all diese Zuchtwege wirklich sinnvoll sind. Denn wir würden natürlich sehr stark Gefahr laufen, dass insbesondere auch alle schlechten Gene einer Taube übertragen und konzentriert würden. Zudem müßte in jeder Generation ja eine ausgiebige Zuchtprüfung erfolgen, so dass sich allein deshalb schon zeitliche Probleme ergeben würden. Und zu guter Letzt würde die Inzuchtdepression höchstwahrscheinlich recht früh ein Scheitern unserer Bemühungen besiegeln.
Und so ist der auch Hinweis von Günter Prange in diesem Artikel wiederum sehr wertvoll, dass man zur Erhaltung des Stammes ganz eng Paaren muß. Doch er weißt darauf hin, dass er bei aktuell z.B. 6 derartigen Inzuchtprodukten in seinem Bestand noch lange nicht davon ausgeht, dass auch nur ein einziger darunter ist, der die guten Eigenschaften weitervererbt. Sie alle müssen auf den Prüfstand! Und auch wenn ich ja schon an so vielen Stellen in meinem Blog vor dem Schluß von Äußerlichkeiten auf innere Werte einer Taube gewarnt habe: An dieser Stelle, bei der Auswahl von Inzuchtprodukten kann so ein Vorgehen hilfreich sein. Auch darauf weist Günter Prange in diesem Artikel hin.
Denn jedes Merkmal eines Stammtieres, das wir bei einem direkten Inzuchtnachfahren wiederfinden, signalisiert uns, dass zumindest der Chromosomenstrang, auf dem dieses Merkmal "sitzt" weitergegeben wurde. Und wenn wir Glück haben, sind es ja genau diese Chromosomenstränge, die ebenso die für die Leistung wichtigen Eigenschaften mit sich führen. Also wenn sehr viele Merkmale übereinstimmen, sind unsere Chancen besser, die Stammtaube "zu erhalten".
Samstag, 13. Dezember 2008
Dienstag, 9. Dezember 2008
Populationsgenetik für Taubenväter (Teil 11)
Ich muss zugeben, ich bin ein Schnorrer. Alle paar Wochen schnorre ich die bereits gelesenen Exemplare der Zeitschrift "Die Brieftaube", die mein Vater noch regelmäßig bezieht. Für mich kam ein Bezug der "Zeitschrift für Brieftaubenkunde", wie sie sich traditionsbewußt auch heute noch nennt, seit meinem Wiederbeginn 2006 nicht in Frage.
Zum Einen, da ich sie ja so schön bei meinem Vater schnorren kann, zum Anderen, da sie leider ihrem eigenen Anspruch, eine brieftaubenkundliche Zeitschrift zu sein, nur selten gerecht wird. Zu häufig, insbesondere im Herbst verkommt sie zu einem Lobbyistenblatt der verschiedensten Lager im Verband, und auch die jährlich inhaltsgleichen Artikel zu Themen wie "Versorgung in der Mauser", "Vorbereitungen zur Zucht", "Versorgung und Behandlung der Jungtauben",... brauch ich nur in einfacher Ausführung, und nicht immer wieder aufs neue lesen.
Doch in der Nummer 45/08 überraschte mich ein Artikel mit dem Titel "Wie züchtet man richtig?" Und der Autor des Artikels schien akademisches Gewicht mit in die Waagschale zu werfen: Prof. Dr.-Ing. Gerhard Wächter. Nur hätte ich mir allerdings gewünscht, dass die Redaktion der Zeitschrift ihre Leser darüber aufklärt, ob die akademischen Titel des Autors im Zusammenhang mit einer Tätigkeit im Tierzüchtungsbereich erworben wurden, oder statt dessen z.B. im Bau chemischer Reaktoren. Eine solche Information wäre angesichts der Strahlkraft eines Professorentitels nicht gerade unwichtig, denn allzuleicht, könnte der Leser geneigt sein, seine Kritikfähigkeit über Bord zu werfen, da es sich ja schließlich um einen Professor handelt.
Nun, ich bin kein Professor, und in der Tat habe ich als Chemiker wohl über chemische Reaktionen mehr Ahnung, als über Tierzüchtung. Dennoch möchte ich ein paar kritische Anmerkungen zu diesem Artikel machen, da er ja einer der seltenen Artikel ist, die sich mit dem Thema "Züchten von Brieftauben" vor dem Hintergrund der Populationsgenetik befassen:
Zunächst einmal erkennt man in dem Artikel die akademische Arbeitsweise, wie sie z.B. an Hochschulen üblich ist: Schreibe nichts, für das du keine Quelle angeben kannst, oder das du nicht selber durch Forschung herausgefunden bzw. gezeigt hast. Als sehr positive Folge davon gibt der Autor dem Leser eine umfangreiche Liste von gut verständlichen Literaturstellen über die Züchtung von Brieftauben an die Hand, die alleine schon Lob verdient. Denn selbst, wenn nicht alle Literaturstellen auf dem letzten Stand der Dinge sein mögen, oder inhaltlich sogar mittlerweile widerlegt, so ist es immer ratsam, solche Dinge gelesen zu haben, damit man sich eine fundierte Meinung bilden kann.
Und so stellt der Artikel eine relativ gute Zusammenfassung mancher Thesen dieser Quellen dar, so dass auch ein lesefauler Mensch etwas davon hat. Doch vor dem Hintergrund, dass der Autor hier ein Professor ist und mit der Überschrift signalisiert, er wolle eine Antwort auf die Frage nach dem "richtigen" Zuchtweg geben, ist das blosse zitieren von zum Teil veralteten Quellen, die in der Mehrzahl keine wissenschaftlichen Arbeiten darstellen, sondern persönliche Meinungen der jeweiligen Autoren vertreten, eindeutig zu wenig.
Es ist sogar gefährlich, denn allzuleicht könnte der Leser seiner Antwort auf diese Frage den Status einer wissenschaftlichen Erkenntnis geben, die ja richtig sein muss, wenn schon ein Professor das schreibt. Seine Antwort auf die Frage aus der Überschrift (Zitat: "Reisetauben mit überduchschnittlichen Leistungen resultieren nach den Erfahrungen nur aus Kreuzungen in Linie gezüchteter Stämme"), und seine weiteren Aussagen zu geschlechtsgebundenen Effekten etc. sind jedoch tatsächlich in dieser Form alles andere als eine erwiesene allgemeingültige wissenschaftliche Erkenntnis und wiederum nur eine persönliche Meinung des Autors, die nur wenig mit dem tatsächlichen Stand der Erkenntnisse zu diesem Thema gemein hat.
Konkret:
Der Autor stellt sehr gut dar, dass Inzucht in Kombination mit entsprechender Selektion geeignet ist, Linien von unerwünschten Eigenschaften zu reinigen und andere gewünschte Eigenschaften zu verankern. Auch der Hinweis, dass bei der Kreuzung von zwei Inzuchtlinien die gewonnene F1 Generation (die direkten Kinder) als Hybride oft über eine Bastardstärke verfügen, die unter der Bezeichnung Heterosis-Effekt bekannt ist, entspricht sicher den Tatsachen. Und sein Hinweis, dass die Wege der Nutzgeflügelzucht wie z.B. das Halten und Führen von zwei getrennten Inzuchtlinien, die dann zur Züchtung von Gebrauchskreuzungen in der F1 Generation genutzt werden, für Brieftaubenzüchter kaum realisierbar sind, weil sie zu große Bestände erfordern, ist meiner Meinung nach sehr gut und sogar wichtig an dieser Stelle. Doch viele Schlußfolgerungen die der Autor zieht, sind leider auch aufgrund ihres Absolutheitsanspruches falsch.
Die Aussage, Heterosis würde nur auftreten, wenn mindestens einer der zwei in einer Paarung zusammenkommenden Stämme ingezüchtet wurde, ist falsch. Heterosis ist vielmehr ein allgemeiner Begriff in der Populationsgenetik, der die Leistungszunahme einer Zuchteigenschaft beschreibt, die beim Kreuzen (meist) nicht verwandter Linien oder Stämme auftritt. Wenn die Nachkommen einer solchen Kreuzung in der beobachteten Zuchteigenschaft über der Leistung der jeweiligen Eltern liegen, entspricht diese Mehrleistung dem sogenannten Heterosis-Zuwachs (siehe hierzu z.B. Comberg, Leibenguth und andere Lehrbücher der Populationsgenetik). Dass die elterlichen Linien ingezüchtet sein müssen, ist jedoch keine Voraussetzung für das Auftreten von Heterosis!
Heterosis ist vielmehr in der Zunahme der Heterozygozität des Genoms der Kreuzungskinder gegenüber den Eltern begründet. Diese tritt sicherlich bei der Kreuzung von ingezüchteten Linien oft auf, doch auch bei anderen Paarungen, wie z.B. dem "wilden kreuzen" völlig unverwandter Einzeltiere, die ihrerseits bereits aus derartigen Verpaarungen hervorgegangen sind, kann diese Zunahme auftreten. Ja, es ist sogar noch nicht einmal ausgeschlossen (wenn auch viel unwahrscheinlicher), dass sie bei der Verpaarung von miteinander verwandten Tieren auftritt.
Der Heterosis-Zuwachs hingegen fällt bei der Kreuzung von ingezüchteten Linien meist deutlich höher aus, als bei der Kreuzung von Tieren, die ihrerseits bereits Kreuzungsprodukte darstellen. Doch daraus läßt sich jedoch nicht schließen, wie es der Autor leider fälschlicher Weise tut, das die Leistung des Zuchtproduktes einer solchen Zwei-Inzuchtlinien-Kreuzung höher liegen muß, als die der "wilden Kreuzung". Warum? Nun, nicht der Leistungszuwachs ist die entscheidende Größe, sondern das absolute Niveau der Leistung. Durch Inzuchtdepression könnten die Inzuchtlinien beispielsweise in unserer beobachteten Eigenschaft im Laufe der Generationen von 100 auf 90 "Qualitätspunkte" abgefallen sein. Die Kreuzung der beiden Linien würde z.B. Nachwuchs mit 105 Qualitätspunkten bringen. Der Heterosis-Zuwachs wäre also mit 15 Qualitätspunkten erheblich. Doch könnte der Nachwuchs aus zwei nicht ingezogenen Eltern mit jeweils 100 Punkten ebenfalls bei 105 Punkten landen! Der Heterosiszuwachs wäre geringer, das Ergebnis jedoch gleich stark.
Und das dem tatsächlich so ist, wissen nicht nur alle gut informierten Taubenzüchter, sondern es zeigen auch die unzähligen Stammbäume von As-Tauben und Leistungsträgern. Man schaue sich z.B. nur die Stammbäume des Schlages Koopman an. Als Ausgangsbasis wurden hier im wesentlichen zwei in der Tat ingezüchtete Ausgangslinien gewählt: Janssen und van Loon Tauben. Und die Kreuzungstauben der F1 Generation, wie z.B. der Eric oder der Beatrixdoffer zeigten herausragende Leistungen. Doch dem Ansatz des Autors folgend sollte der Nachwuchs der F2 Generation und die Mehrzahl des Nachwuchses der späteren Generationen eine schlechtere Leistung bei Koopman gezeigt haben, da sie jeweils keine ingezüchteten Tauben sind. Tauben wie der Gentil, der Jacco und sehr viele andere sogar nationale As-Tauben bei Koopman beweisen bis in die Gegenwart das Gegenteil!
Also: Die Aussage des Autors, dass vorhergehende Inzucht und spätere Kreuzung besseren Reisetauben bringen, als andere Zuchtwege ist nicht nur wissenschaftlich nicht haltbar, sondern auch zigtausendfach durch die Praxis widerlegt. Für die Bastardstärke ist lediglich ein hoher Heterozygotiegrad wichtig, woher auch immer dieser kommen mag!
Darüber hinaus ist aber nicht allein Bastardstärke wichtig für eine sehr gute Reisetaube, sondern auch die hohe "Dichte" von guten Genen im Erbgut des jeweiligen Tieres. Denn es gibt Eigenschaften, wie z.B. die Vitalität (oder auch die Legeleistung bei Hühnern) die an der Bastardstärke hängen, und es gibt Eigenschaften, die dies nicht oder nur in geringem Maße tun, sondern an additiven Genwirkungen liegen.
Dies führt denn auch zum nicht auflösbaren Grundkonflikt in der Zucht von Brieftauben, der es so spannend macht und eine eindeutige Antwort auf die Eingangsfrage des Autors verhindert:
Für das konzentrieren von additiven Eigenschaften wäre eine hohe Anreicherung der entsprechenden positiven Gene wünschenswert, welches aber auch zu einer Zunahme von Homozygotie führen kann. Für die Bastardstärke ist hingegen eine möglichst hohe Heterozygozität des Genoms erstrebenswert.
Und so gibt es in der Folge auch in beiden "Welten", Inzucht und Kreuzung, hervorragende Zuchtpaare und Zuchttauben. So stellen der berühmte "Figo" von Reynaert oder die "Daisy" der Stieneckers starke Inzuchtprodukte dar, welche dennoch absolute Spitzenleistungen erbrachten. Hier hat die Inzucht wohl zur Anreicherung der positiven Gene geführt, ohne aber dabei rezessive negative Gene herauszuspalten (zur Homozygotie dieser zu führen). Dadurch ist eine Kreuzung dieser Inzuchtiere mit anderen, nicht verwandten Tieren, welche mögliche homozygote "Schadgene" wieder aufgehoben hätte, nicht nötig gewesen, um Top-Leistungen zu erzielen. Auf der anderen Seite ist der "Kleinen" von Vandenabeele ein absolutes Kreuzungsprodukt, und schon seine Eltern waren Kreuzungen. Er erbrachte selber schon sehr viele sehr gute Flieger, wie den Wittenbuik, den Turbo, den Picanol,... (was man ja auf die Bastardstärke seiner ebenfalls in Kreuzung gezüchteten Kinder zurückführen könnte), doch er und auch sehr viele seiner Kinder und Enkel wurden noch besserere Vererber, der Kleinen selbst könnte sogar einer der besten Vererber gewesen sein, die der Taubensport bis heute gesehen hat. Und dass, obwohl ihm und den meisten seiner Kinder direkt keine Inzucht vorausgegangen ist. Beim Kleinen waren also trotz der vielen Kreuzungen im Vorfeld die sehr guten Gene extrem konzentriert!
Glück und Zufall sind eben sehr wesentliche Faktoren in der Zucht sehr guter Reisetauben. Daher kann die "ideale" Zuchtstrategie nur eine sich stetig am Bestand und der Situation angepassende Strategie sein, die auf die Mittel Kreuzung und Inzucht zurückgreift, ohne sklavisch an nicht fundierten Schemata festzuhalten.
Über all dieses hinaus verweist der Autor mehrfach auf geschlechtsgebundene Effekte, in dem er z.B. schreibt: "Die Täubin ist entscheidend". Und er führt das "Bruce Lowe'sche Gesetz" an, bzw. verweist auf Vansallen, der dem Wechsel zwischen den Geschlechtern bei einer Zuchtlinie eine Bedeutung zumisst. Alle drei Punkte sollten ebenfalls nicht unkommentiert bleiben:
Bruce Lowe, ein Australier, der im 19. Jahrhundert die Pferdezucht durch die Einführung des Familiennummersystems strukturiert hat, hat ein Schema formuliert in dem er vorschlägt, wie bei Pferden Familienzucht betrieben werden sollte. Dieses Schema zum "Gesetz" zu erheben, das darüber hinaus auch noch Gültigkeit bei Brieftauben haben soll, ist nicht nur nicht nachzuvollziehen, sondern sehr unwissenschaftlich.
Der Autor postuliert, dass aufgrund der Tatsache, dass das Geschlecht bei Vögeln durch die Weibchen übertragen wird, zur Erhaltung der Eigenschaften eines Stammtieres in die Mutterlinie zurückgepaart werden müsse. Verständlich wird diese Äußerung, durch den späteren Verweis auf Vansallen. Jedoch geht es hierbei nicht um die Frage, ob bestimmte Chromosomen überhaupt auf die Nachfahren übertragen werden, sondern um die Frage, ob man dem Übertrag eines der beiden väterlichen Z-Chromosomen nach der Paarung gesichert "folgen" kann.
Bis heute ist nicht geklärt welche und wie viele Gene auf den geschlechtsbestimmenden Chromosomen der Taube sitzen, und es stellt nur eines von insgesamt 40 Chromosomen im Genom jeder Taube dar. Nach dem Unabhängigkeitsgesetz Mendels werden alle anderen 39 von 40 Chromsomen unabhängig von diesem einen vererbt. Welchen Sinn sollte es also machen eine Zuchtstrategie auf nur einem Chromosom von 40 auszurichten? Die Aussage, dass das Zurückpaaren in die Mutterlinie notwendig sei, um die (man beachte die allgemeine Formulierung!) Eigenschaften eines Stammtieres zu erhalten, ist sachlich falsch! Auf allen 40 Chromosomen der Tauben sind Eigenschaften kodiert und da nützt es nichts insbesondere das Geschlechtsbestimmende zu "verfolgen", denn von den anderen 40 Chromosomen des Stammtieres werden bei jeder Paarung bestimmt einige auf der Strecke bleiben.
An dieser Stelle zitiert der Autor darüber hinaus Vansallen (von dessen sehr guten Büchern und Artikeln ich übrigens ein großer Fan bin). Doch in der zitierten Quelle unterlag auch Vansallen der Versuchung bei der Konzentration auf die Nachvollziehbarkeit der Vererbung des Z Chromosoms die anderen 39 Chromosomen ausser Acht zu lassen. Auf diesen Umstand weist der Übersetzer Dr. Arno Meyer aber in diesem Buch ausdrücklich hin, um eben diese Aussage Vansallens zu relativieren. Kann es sein, dass Herr Prof. Dr.-Ing. Wächter dies absichtlich überlesen hat, da es seiner Argumentationsfolge nicht dienlich gewesen wäre?
Und abschließend sind geschlechtsgebunden vererbte Leistungseigenschaften meines Wissens bei Brieftauben bis heute weder indentifiziert, noch nachgewiesen worden. Und so kann ich nur empfehlen, die Geschlechterfolge bei der Paarung nur als ein Hilfsmittel zu Nachverfolgung eines väterlichen Z-Chromosoms zu sehen. Nicht mehr und nicht weniger. Ebenso könnte man das Auftreten einer anderen dominanten Eigenschaft (z.B. der Schimmelfärbung) zur "Verfolgung" des Chromosomenstranges nutzen, auf dem das Gen hierfür sitzt. Was soll so etwas bringen, solange unbekannt ist, welche anderen Eigenschaften noch auf dem "verfolgten" Chromosom sitzen? Im Einzelfall mag die eine oder andere beobachtete Kopplung einer gewünschten Leistungseigenschaft mit der verfolgbaren Eigenschaft eine Hilfe sein, doch darf und kann man keine allgemeingültige Zuchtstrategie hierauf aufbauen!
Somit sollten Leser des Artikels von Herrn Prof. Dr.-Ing. Wächter sich die Zucht in Zukunft nicht schwerer machen, als sie ohnehin schon ist, und den Geschlechterwechsel bei der Verpaarung nicht ins Zentrum ihrer Zuchtbemühungen rücken. So etwas spielt, wenn überhaupt, nur eine sehr untergeordnete Rolle bei der Züchtung sehr guter Tauben. Und "Bruce Lowe" ist eine Meinung eines Pferdezüchters ohne Beleg, mehr nicht!
Noch ein Hinweis der ebenfalls zum Thema passt: An mancher Stelle (nicht im erwähnten Artikel) wird Wert auf die sogenannte Mutterlinie bei Tauben gelegt. Begründet wird dies durch Erbsubstanz, die sich nicht im Zellkern befindet, sondern in den Mitochondrien. Diese Erbsubstanz wird immer, und zwar vollständig und unverändert, nur von der Mutter auf alle ihre Kinder übertragen. Dadurch führen alle Tauben die mitochondrale Erbsubstanz der Weibchen, die bei der klassischen Stammbaumdarstellung an der untersten "Kante" auftauchen. Es bleibt die Frage, ob man dieser Tatsache wesentliche Bedeutung zumessen sollte in der Zucht von Brieftauben, indem man versucht, bestimmte mitochondrale Erbsubstanz im Bestand zu erhalten.
Bis heute ist kaum etwas über die Funktionen der mitochondralen Erbsubstanz bekannt. Sehr umfangreich ist der genetische Code dort aber im Vergleich zum Zellkern nicht. Doch selbst wenn diese direkte Auswirkungen auf die Leistungseigenschaften einer Taube haben sollte, ist nach Jahrhunderten der Brieftaubenzucht und deren Selektion auf Leistung nicht zu erwarten, das wir heute noch "schlechter" mitochodraler Erbsubstanz einer Brieftauben begegnen. Bei jeder heute existierenden Taube wird man auf dieser untersten "Kante" des Stammbaumes irgendwann in der Vergangenheit (und sei es vor 30 Generationen!) auf eine herausragende Reisetäubin oder eine herausragende Zuchttäubin treffen. Und eben ihre mitochondrale Erbsubstanz konnte ja so "schlecht" nicht gewesen sein, und findet sich damit heute unverändert (von sehr selten auftretenden Mutationen einmal abgesehen) im Erbgut der betrachteten Gegenwartstaube.
Also, ich persönlich kann keine Notwendigkeit erkennen, auf die mitochondrale Erbsubstanz mehr Aufmerksamkeit, als auf alle anderen Gene zu legen. Nein, ganz im Gegenteil: Aufgrund der sehr hohen "Stabilität" dieser Erbsubstanz über -zig Generationen hinweg und der jahrhunderte langen Selektion, sehe ich bei Brieftauben sogar viele berechtigte Gründe, sie unberücksichtigt zu lassen.
Vielleicht wäre ein fachkompetentes Redigieren solcher Artikel, wie dem von Prof.Dr.-Ing. Wächter vor dem Abdruck z.B. durch Hr. Dr. Kamphausen oder Universitäten, mit denen der Verband in Sachen Forschung in Verbindung steht, für die Zukunft sinnvoll, damit derartig sachlich falsche, aber nach wissenschaftlicher Erkenntnis aussehende Artikel vermieden werden können. Und wenn dann noch häufiger wirkliche Fachartikel zum Thema Tauben erscheinen, könnte ich mir sogar vorstellen, irgendwann einmal "Die Brieftaube" nicht länger bei meinem Vater zu schnorren, sondern selber zu beziehen.
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